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Literarisches Erwachen

Anne Bax zum Tod von Sarah Dreher

Es geht uns mit Büchern wie mit den Menschen. Wir machen zwar viele Bekanntschaften, aber nur wenige erwählen wir zu unseren Freunden.

(Ludwig Feuerbach)

Manchmal sind es die kleinen Augenblicke, die unser Leben entscheidend verändern. Ich möchte gerne aus traurigem Anlass von einem solchen Moment in meinem Leben erzählen – und von der amerikanischen Autorin Sarah Dreher.

Porträt der Autorin Sarah Dreher.Es war im Herbst 1987, als ich es als Junglesbe bis zu einem Urlaub ins ferne San Fransciso geschafft hatte. In meiner Erinnerung liegt das so lange zurück, dass ich fast sicher bin, damals mit einer Gruppe mutiger Pilger an Bord eines hölzernen Segelschiffes über den Atlantik gesegelt zu sein, aber es war wohl eher die Holzklasse einer deutschen Airline, die überraschend einen Sondertarif für Studenten angeboten hatte.

Mayflower hin, Lufthansa her, auf jeden Fall stand ich plötzlich mitten im Mekka der Homosexuellenbewegung in einem großen Frauenbuchladen, umgeben von, wie mir schien, tausenden von Lesbenromanen.
(Wer sich ein Bild dieser Situation machen möchte, stelle sich jetzt die Bibliothek aus „Der Name der Rose“ vor. Auch hier ist meine Erinnerung allerdings wohl nicht ganz korrekt und meiner jugendlichen Begeisterung geschuldet.)
Vor zwei mehr als unscheinbar gebundenen Büchern war ein kleiner handgeschriebener Zettel an ein Regalbrett gepinnt. Darauf stand (ich übersetze frei): „Kauft bitte den zweiten Band direkt mit. Heute Nacht, wenn ihr den ersten ausgelesen habt, haben wir nämlich nicht mehr geöffnet.“

Buchcover von Stoner McTavish„Stoner McTavish“ hieß der erste Band, und der Titel verriet nicht, was das Buch mit meinem Leben anstellen würde. Ich kaufte es und noch einige andere, die mein Interesse weckten. Den zweiten Band aber ließ ich zurück. Was sich als schwerer Fehler herausstellte.

Unsere Reise ging weiter und ich begann an einem anderen Abend, in einer anderen amerikanischen Stadt „Stoner McTavish“ zu lesen. Und dann passierte es. Ich konnte nicht mehr aufhören. Das war es, was ich in den Büchern, die ich bis jetzt gelesen hatte, immer vermisst hatte. Dieses Buch war lustig und lesbisch. Es war gefühlvoll und es erzählte so gekonnt und zart über die große Liebe, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Ich las es in einer einzigen Nacht und klappte es am Morgen gar nicht erst zu, sondern las es direkt noch einmal. Danach stand es fest: Ich war verliebt in ein Buch, in seine Protagonistinnen, in seinen Tonfall, in seine Welt. In der nächsten Stadt kaufte ich Band 2 und hoffte bei jedem neuen USA- Aufenthalt auf weitere Fortsetzungen. (Zur Erinnerung: Wir schreiben das Jahr 1987, Amazon.com wird seinen Betrieb erst sieben Jahre später aufnehmen, der deutsche Ableger erst in elf.)

Natürlich gab es zu dieser Zeit auch in unserer schönen Heimat noch Frauenbuchläden und auch Lesbenliteratur. Allerdings war diese meist schwer und überwiegend kopfgesteuert. Voller Diskussionen und Kräutertees, die die Hauptfiguren mit sich, in der Gruppe, in ihren Beziehungen und immer wieder auch mit Männern führten, bzw. tranken. Ich hatte diese Bücher gelesen und war in der Lage sie im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit zu analysieren. Zuhause gefühlt, hatte ich mich in ihnen nicht.

Buchcover von Grauer ZauberMit „Stoner MC Tavish“ hatte ich meine literarische, lesbische Heimat gefunden. Ich folgte Sarah Dreher und ihren Heldinnen in den folgenden Jahren durch Raum und Zeit, in den wilden Westen oder die verborgenen Tunnel unterhalb von Disney World und würde das wohl heute noch tun, wenn die Autorin ihre Reihe nicht 1998, nach dem siebten Band unterbrochen hätte. Auf ihrer Homepage steht zu lesen, dass sie an einem achten Band gearbeitet hat, erschienen ist er nicht mehr.

Natürlich entwächst man auch den geliebten Büchern der Jugend nach und nach, aber irgendwo in der Sicherheit und der Wärme von Sarah Drehers Worten hatte ich festgestellt, dass ich selber schreiben konnte und dass ich dieses Gefühl von Lachen und Glück in Frauen auslösen wollte. Es kommt immer wieder mal vor, dass mich nette Leserinnen nach Lesungen auf meine Bücher ansprechen und sie mir erzählen, was sie an meinen Texten mögen oder über welche Stellen sie gelacht haben. Mich freut das jedes Mal sehr. Ich hätte Sarah Dreher auch gerne erklärt wie sehr ich ihre Geschichten liebe und wie stark sie mein Leben beeinflusst haben. Aber dazu wird es jetzt nicht mehr kommen.

Sarah Dreher ist am 02.04.2012 im Alter von 75 Jahren völlig unbemerkt von der Welt gestorben. Und auch wenn sie mir/uns „Stoner McTavish“ hier gelassen hat, macht mich das unendlich traurig.

Homepage von Anne Bax

Über Anne Bax
Die Schriftstellerin Anne Bax lebt mit Frau, Stoffschwein und Lesebrille im Ruhrgebiet. Bekannt wurde sie durch ihre köstlichen Kurzgeschichten, gespickt mit baxschem Wortwitz. 2011 erschien ihr erster Krimi „Herz und Fuß“.Das E-Book von Anne Bax

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6 thoughts on “Literarisches Erwachen”

  1. Anke Kropp sagt:

    Danke Anne Bax für diesen bewegenden Nachruf. Auch ohne nach San Francisco zu reisen, hat Sarah Dreher auch mein Leben durch Stoner geprägt.

  2. Dani sagt:

    Ich weiß gar nicht mehr, wie ich Stoner McTavish bzw. Sarah Dreher entdeckt habe, aber ich hatte das Glück, mein lesbisches Erwachen in der zweiten Hälfte der 90er zu feiern, sodass ich nicht extra in die USA reisen musste, um ihre Bücher zu kaufen. Tatsächlich konnte ich sie mir im Lesbenarchiv Frankfurt ausleihen. Als ich mit der Reihe anfing, war der letzte Band schon erschienen und so konnte ich sie alle relativ schnell lesen. Hinterher habe ich mir alle Bände auf Flohmärkten u.ä. zusammengekauft. Denn es reicht nicht, diese Bücher gelesen zu haben. Man muss sie besitzen. Stoner McTavish wird sicher ewig zu meinen Lieblingsheldinnen gehören.

  3. Susanne Lück sagt:

    Gerade erst gefunden … eine wunderbare Eloge. Gefällt mir!!

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