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35 Jahre Konkursbuch Verlag: Interview mit Claudia Gehrke
Als 1978 das erste „konkursbuch“ erschien, ahnte noch keine/r der Beteiligten, dass aus dem kleinen Projekt ein „richtiger“ Verlag wachsen würde, der es schaffte, bis heute 50 weitere Ausgaben zu veröffentlichen und mittlerweile ein breites Spektrum an an- und aufregender Literatur publiziert.
Phenomenelle unterhielt sich mit der Verlegerin Claudia Gehrke, wie alles begann und wie im Laufe der Jahre die „weißen Flecke auf der feminsitschen Landkarte“ mit Inhalten und Leben gefüllt wurden:
Dein Verlag wurde vor 35 Jahren gegründet. Haben sich seitdem die Gründe, warum es dir wichtig ist Bücher zu verlegen, verändert?
Kurze Antworten fallen mir schwer, nach so langer Zeit Verlegerinnendasein. 🙂
Der Verlag ist 1978 in einem „Salon“, den wir in unserer StudentInnen-WG jeden Mittwoch ausrichteten, entstanden. Wir redeten, lasen uns eigene Texte vor, aßen und manchmal passierte in den Nächten des Salons „Erotisches“ in multisexuellen Konstellationen, ich kochte, und die Themen entwickelten sich in Gesprächen. Die Idee für das Magazin „konkursbuch“ und die ersten Ausgaben entstanden im Kollektiv. Allerdings glaubte aus diesem Kreis anfangs kaum eine/r, dass aus unseren Debatten und dahingesponnenen Ideen wirklich ein Buch entstehen würde – für die Realisierung habe dann vor allem ich gesorgt. (Ich wurde Referendarin und bekam mit Tricks ein kleines Bankdarlehen). Zwei aus dem Kreis, ich und der Japanologiestudent Peter Pörtner, liebten das „Objekt“ Buch besonders, nichts weiter verband uns außer dieses besondere Vergnügen am Bücherbasteln – und so „bastelten“ wir ein erstes „konkursbuch“ mit kleinen mit Überraschungen in der Gestaltung.
Thema der Nummer eins war „Vernunft und Emanzipation“.
Die Gründe, mit „konkursbuch“ anzufangen, (existiert übrigens noch immer, eben erschien konkursbuch 51 zum Thema „Außenseiter“) lagen in den politischen Debatten der Zeit, es ging in dieser ersten Nummer um Terrorismus, um Fragen der Identität und des Identitätsverlustes und um die Ideen der neuen Frauenbewegung. Darum „weiße Flecken auf der feministischen Landkarte“ (so der Titel eines programmatischen Textes von Marlis Gerhardt in konkursbuch 1) zu betreten.
Der Verlag ist langsam gewachsen. Es kamen Manuskripte, die zu lang waren für „konkursbuch“, die ersten Romane erschienen. Dann entstanden nach und nach die Buchreihen. „konkursbuch Nummer 6, Erotik“ (1980) wurde zur multisexuellen Jahrbuchreihe „Mein heimliches Auge“ (dessen erste Ausgabe erschien 1982), daraus entstand in Zusammenarbeit mit Laura Méritt 1998 „Mein lesbisches Auge“ (anfangs in Zweijahresabständen, dann einmal jährlich, soeben erschienen ist Nummer 12/13). Wir hatten einige Jahre zuvor das erste lesbisches Sexaufklärungsbuch in Deutschland verlegt, LAURAS Animösitäten und Sexkapaden. Das lesbisches Sexwörterbuch). Die Buchreihe „Liebesleben“ entstand, in der es in spannenden erotischen Romanen immer auch um die Fallen und Ambivalenzen des (oft lesbischen) Liebeslebens geht. Aus konkursbuch „Reisen“ entstanden die Reiselesebücher zu den kanarischen Inseln etc, aus konkursbuch 16/17 zum Thema „Japan“ eine Serie mit Japan-Lesebüchern. Nach und nach kamen einzelne Autorinnen zum Verlag, Yoko Tawada, Regina Nössler, Anne Bax …
Seit 2008 haben wir auch eine Reihe mit Thrillern im Programm.
Der Verlag ist wie ein Baum, die Wurzeln sind noch da, die Äste verzweigen sich.
Meine Gründe und Kriterien für die von uns verlegte Literatur haben sich natürlich ausdifferenziert. Doch immer noch entstehen Buch-Ideen in Gesprächen: mit Babett Taenzer, auf Anregung von Autorinnen und Freundinnen, ich sitze also nicht im stillen Kämmerlein und denke mir Programme aus, sondern sie kommen auf mich zu.
Einer meiner Gründe fürs Bücherverlegen heute – der auch meine „privaten“ Leselüste und Lieben spiegelt, ist: die queer-lesbische Literaturlandschaft zu bereichern, zu zeigen, dass in Büchern zu unterschiedlichsten Themen selbstverständlich lesbische und queere Lebens- und Liebesformen vorkommen. In den meisten Büchern des Verlags werden lesbische Figuren sichtbar, egal, welche Themen die Bücher „sonst noch“ haben, Lesbisches findet sich in den poetischen Zwischentönen von Yoko Tawada genauso wie in den Thrillern von Regina Nössler und Litt Leweir … Als vor vielen Jahren das erste Buch „Nur da wo du bist da ist nichts“ von Yoko Tawada erschien, schrieb eine Rezensentin empört: Das soll lesbische Literatur sein? Wenn in einer kleinen Szene in einem Antiquariat, das es nicht einmal in der Realität gibt, die Figur Eva der Protagonistin ein Ohrläppchen abbeißt? Oder in einer anderen Szene Lippenstift auf ihrem Körper hinterlässt? Dieser erste Text von Yoko Tawada lässt sich als poetisch anspruchsvoller Coming-Out-Roman lesen, in dem die Protagonistin sich von der männlichen Figur K. trennt, und sich dann von der Figur Eva auseinandernehmen neu – lesbisch – zusammensetzen lässt. Doch der Text lässt sich genauso ganz „unlesbisch“ lesen. Es geht darin um imaginäre Bücher, in denen man im Traum blättert, um Bücher, die nur zum Umblättern gemacht sind, um Wahrnehmung überhaupt und vieles mehr. In Regina Nösslers Büchern sind die abgründigen Ambivalenzen des Alltags und der Liebe zwischen Eifersucht und Strafe, Mütterlichkeit und Lust, die „engen Räume“, ob in der Arbeitswelt oder in einer Beziehung. In ihrem zuletzt erschienenen Thriller geht es um Arbeitskräfte, die zu Tagelöhnerbedingungen auf engstem Raum arbeiten. In Litt Leweir „Am Ende des Fegefeuers“ geht es um weit zurückliegendes Drama unter Geschwistern. Eine oder mehrere der Hauptprotagonistinnen in diesen Büchern sind selbstverständlich lesbisch. Aber alle diese Bücher zeigen Aspekte von Alltag und gegenwärtigem Leben und könnten im Prinzip von allen gelesen werden – wir lesen ja auch Bücher mit heterosexuellen Protagonistinnen.
Wie kam es eigentlich zu dem Namen?
In Anspielung auf das Magazin der Studentenbewegung „Kursbuch“ schöpften wir aus der „Konkursmasse“ dieser Bewegung (begonnen mit der Arbeit am „Konkursbuch“ hatten wir in dem Herbst 1977 – die Zeit von Mogadishu, von Zweifeln an den Selbstmorden der TerrorIstinnen). Spielerisch mitgedacht war, dass ein kleiner Verlag grundsätzlich vom „Konkurs“ bedroht ist. Das Wort „konkurs“ hat aber noch andere Bedeutungen, es kommt von „zusammenlaufen“, „aufeinandertreffen“, in dieser Bedeutung stimmt es auch heute: Bei uns treffen disparate Bereiche aufeinander. Schubladenüberschreitungen, keine Untergangsphilosophie, auch keine „Kurse“, sondern Abschweifungen. Auf Umwegen zu „politischen Zielen“ – nicht wie im „Kursbuch“, in deren ersten Vorwort es hieß, dass es sei wie das „Kursbuch“ der Bahn, man könne hier lesen, wie man an welches politische Ziel gelange.
Am 1.April 1978 gründeten wir den „konkursbuch-Verlag“ als „Aprilscherz“, lustig dass wir am 1.4.2013 nun 35 Jahre alt werden. Dem Namen habe ich später noch meinen eigenen hinzugefügt, wir heißen „konkursbuch Verlag Claudia Gehrke“, damit klar ist, dass eine Person hinter dem Verlag steht.
„Konkurs“ war auch anfangs nicht als Untergangsmetapher gedacht, auch wenn diese Assoziation von den Etnwicklungen der Zeit her eine Rolle spielen mag. Aus der „Konkursmasse“ der Bewegungen der Zeit schöpften wir, aus den Träumen und Utopien. Neu in „konkursbuch“ war die Verbindung zwischen Theorie und Sinnlichkeit, Bild und Text. Das gab es zu der Zeit nicht, die Theoriebücher waren klein gedruckte „Bleiwüsten“. Hirn und Herz zu verbinden. Erotik hatte für mich von Anfang an nicht nur die enge sexuelle Bedeutung.
Welches Frauenbuch, das noch nicht geschrieben wurde, würdest du dir wünschen?
Es wurden schon viele tolle Frauenbücher geschrieben – heute und in der Vergangenheit immer wieder entdecke ich etwas Mitreißendes, das es schon gibt. Und wir erhalten extrem viele Manuskripte von Frauen. Natürlich viel, was mir nicht gefällt, aber immer wieder finde ich Texte darunter, die mich begeistern. Ich kann mir aber nichts „Konkretes“ wünschen, sondern bleibe offen für Überraschungen.
Du verlegst hauptsächlich Bücher zu folgenden Themenschwerpunkte Frauen, Erotik und Kunst. Welche Verbindung siehst du dazwischen?
Ein wichtiger, aber nicht der einzige Programmbereich …
Als wir anfingen, Frauen anzuregen, sich Gedanken über ihre Sexualität und Erotik zu machen, waren vor allem männliche Bild- und Textwelten im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Es gab zwar immer schon Kunst und Literatur von Frauen zum Thema, doch sie war unsichtbar. Es war (und ist) politisch wichtig, dass Frauen sich ihre eigenen Bilder erschaffen, dass sie nicht mehr nur als „männliche Projektionen“ in Literatur und Kunst existieren.
Frauen hatten ein großes Bedürfnis, sich „selbst“ zu beschreiben, ihre Lüste und Fantasien auszudrücken. Eine nicht abreißende Flut an Texten erreicht uns schon seit der PorNOdebatte in den 1980ern. Auch Bilder und Filme von Frauen entstanden in Auseinandersetzung mit dieser Debatte. Wir haben eine Sammlung von feministischen erotischen Kurzfilm-„klassikern“ und Sexaufklärungsfilmen im Programm (Love Bites I-III). Das hat sich entwickelt. Heute gibt es Lesbenpornos und einen feministischen PornAward. Eine kleine eigene „Bilderwelt“ ist entstanden, aber noch immer ist der „Mainstream“ männlich. Frauen einen Ort zu geben, über ihre Lüste – und über ihr Leben, ihre gesellschaftliche Stellung – zu reflektieren, sie zu beschreiben in Bildern und Texten, ist weiterhin wichtiges Anliegen meines Verlages.
Du hältst auch Vorträge. Welche Verbindung haben die zu deinem Beruf als Verlegerin?
Ich habe durch meine Arbeit viel Erfahrung mit Kunst und Literatur von Frauen, inzwischen verlege ich ja schon über einen kleinen „historischen“ Zeitraum hinweg.
Meine Vorträge und eigene Texte haben natürlich mit dieser Arbeit zu tun, Reden über Künstlerinnen zu Ausstellungseröffnungen, Vorträge über die Geschichte erotischer Kulturen von Frauen etc.
Kann eine Verlegerin irgendwann am Tag auch mal die Tür zumachen, nach Hause gehen und dort privat sein?
Da ich in einem Zimmer über dem Verlag wohne, kaum. Eigentlich wollte ich diesen Raum „frei“ halten von Verlagsarbeiten – und nun sitze ich doch öfter auch dort am laptop und bastle tage- und nächtelang , auch zusammen mit Autorinnen und Freundinnen, an Buchlayouts. Warum ich das nicht „unten“ im Verlag mache: der laptop hat die aktuelleren Programme und „unten“ sitzt eine Praktikantin und ist mit anderen Arbeiten befasst. Aber natürlich lebe und liebe ich auch „privat“, doch ich trenne das nicht so streng. Wie eine Angestellte um 17 Uhr nach Hause zu gehen und abzuschalten, geht nicht. Ich „leide“ nicht darunter, Bücher sind sehr nah am Leben, die Arbeit an Büchern ist sehr aufregend und warum sollte sich sogenannte Arbeit und sogenanntes Privates nicht mischen. Ich „leide“ natürlich unter den vielen Kleinkramproblemen, den buchhalterischen Arbeiten, den ökonomischen Problemen, etc., mit denen jeder kleine Verlag zu kämpfen hat.
Wie siehst du die Zukunft vom gedruckten Buch gerade in der Hinsicht auf eBooks und auch Hörbüchern?
Hörbücher gibt es ja schon lange. Sie existieren zusätzlich zum Medium Buch, sind etwas für Autofahrerinnen und für Menschen, die sich gerne vorlesen lassen. Ich persönlich lese lieber in meinem eigenen Rhythmus, oft nachts, und habe auch nicht gerne Ohrhörer auf. Wir haben aber auch ein paar Hörbücher im Programm .
Manche Besonderheiten des Objekts Buch sind nur im Gedruckten möglich. Andere Besonderheiten sind nur im E-Book-Format möglich. Ich habe nichts gegen E-Books und wir machen alle Romane und Bände mit Erzählungen – aber (bisher) nicht die erotischen Jahrbücher – auch als E-Books. Natürlich werden sie den Markt für das gedruckte Buch verändern, mehr als Hörbücher. Es wird E-Book-Leserinnen geben, die sich auf Reisen 20 Krimis mitnehmen können und denen dann nicht immer, wie mir, die ich „privat“ nur gedruckte Bücher lese, der Lesestoff ausgeht. Aber es wird vermutlich auch weiterhin immer Leserinnen gedruckter Bücher geben. Die Druckauflagen werden kleiner, es verteilt sich. Ich persönlich brauche zum Lesegenuss das Buch aus Papier, das Umblättern, auch mal einen Knick machen zu dürfen, einen Fleck, eine handschriftliche Notiz am Rand. Ich will blättern und nicht scrollen, reicht schon dass ich bei der Verlagsarbeit den ganzen Tag am Bildschirm sitze.
Herzlichen Glückwunsch also zum Jubiläum und weiterhin einen guten Blick für spannende Literatur!