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Amigas Lautbar – den Lesben viele Stimmen
Die Amigas NRW e. V. präsentierten Claudia Friedrichs (un)erhörte „Lautbar“ in Köln.
Ein dunkler Tunnel, du bist umgeben von geheimnisvollem Stimmengemurmel. Die Worte und Satzfetzen sind noch schwer auszumachen, sicher ist nur: Es sind Frauenstimmen. Aus dem Tunnel heraus trittst du in einen großen Saal. Hier erwartet dich ein Spalier raffiniert gestalteter Klangstationen; jede mit einem neuen Audioerlebnis: Musik, Stimmen, Sprache, vertonte Literatur. Hier und da wird das Hörfest von einem visuellen Eindruck unterbrochen – Fotografien, eine Bühne. Der Saal wird von heiter beschwingten, neugierigen Lesben bevölkert, die von Station zu Station wandern, lauschen und staunen. Denn die erlebten Klänge und Bilder drehen sich allesamt um lesbisches Leben, lesbische Kultur, Arbeit oder Politik durch die Zeiten und Länder. Sie geben den frauenliebenden Frauen der Vergangenheit und Gegenwart, die ihr Leben selbstbewusst gestaltet und ihren Lebensunterhalt selbst in die Hand genommen haben, Hunderte Stimmen und Gesichter.
Oase sapphischer Hörkunst
Fühlst du dich an diesem Ort schon recht wohl? Wie in der multimedialen Lesbenheimat, die wir alle immer vermisst haben? … Das ist in etwa der richtige Eindruck von der „Lautbar“, die die Amigas lesbische Freiberuflerinnen und Unternehmerinnen NRW e.V. am vergangenen Mittwoch anlässlich der diesjährigen Hirschfeld-Tage in Köln präsentiert haben.
Konzipiert und professionell ausgeführt hat den Abend Radiomacherin Claudia Friedrich (Foto oben, rechts mit Strauß), die damit ihre „zwei großen Leidenschaften: Klang und Fotografie“ verbinden konnte, wie Katerina Katsatou, die höchst sympathisch durch den Abend führte, erklärte. Die Räume der Kölner Frauentanzschule „Swinging Sisters“ hatten sich in diese Oase sapphischer Hörkunst verwandelt.
Ohriginale
Und so viele kamen, dass sich an den erklärten Lieblingsstationen oft Schlangen geduldig wartender Frauen zusammenfanden. So etwa am liebevoll gefertigten „Beichtstuhl“, in dem Radiosprecherin Irina Scholz den geneigten Lauscherinnen mit samtener Stimme Erotisches aus der Feder von u. a. Jeanette Winterson oder Rita Mae Brown zuraunte. Oder an der bunten „Jukebox“ mit Selbstwahlmöglichkeit aus den Top Ten der lesbischen Weltliteratur, vorgetragen von Sprecherin Nina Lentföhr. Oder am überdimensionalen „Ohriginal“-Hörrohr, aus dem unter vielen anderen Virginia Woolfs und Gertrude Steins Stimmen direkt aus den 1920er-Jahren herübertönten.
Unerhörter Eindruck
An Kopfhörer-Stationen erzählten Unternehmerinnen aus Nordrhein-Westfalen von der Dienstleisterin bis zur Liedermacherin davon, wie es ist, offen lesbisch und selbstständig zu arbeiten und zu leben; dazwischen funkten verschiedenste Hörschnipsel von Kämpferinnen, Künstlerinnen und Kinoheldinnen.
So dicht und genial zusammengestellt hinterließen sie einen wahrhaft unerhörten Eindruck, der sicher bei vielen Besucherinnen noch lange nachwirken wird.
Augenweide zum Ohrenschmaus
Eingehüllt in Klang gefiel umso mehr der Blick auf die Bühne, auf der sich die Frauen zum Kleider- und Rollenwechsel verführen und in historischen Denkmalposen ablichten ließen (rechts unten auf dem Bild beispielsweise als die antike und die moderne Sappho). Den letzten klassisch gediegenen Schliff lieferte Kerstin Holdt als Barpianistin. Wortschöpferisch ging es derweil in Maria Simon im Springs Lyrikschmiede zu, in der aus vorgefertigten Zitatschnipseln von Audre Lorde, Sappho und anderen Wortkünstlerinnen eigene Gedichte gebastelt wurden. Die entstandene eigenwillige Lyrik wurde später in Poetry-Slam-Manier laut verlesen und beklatscht. Den Abschluss bildete als „zum Ohrenschmaus passende Augenweide“ die furiose Darbietung der Vize-Weltmeisterin im Equality-Tanz Claudia Reger mit Partnerin Raphaela Edeler.
Ein sensationeller Abend – und für mich ganz sicher eine der schönsten unter allen schönen Veranstaltungen der Hirschfeld-Tage NRW!
Fotos: Barbara Scheid
Foto Sapphos: Claudia Friedrich