kulturelle
Buchrezi – Mutterwut von Marianne Bunes
Maria ist eine sprachlose Protagonistin, die jedoch umso mehr Worte zu Papier bringt. Dir schreibt über eine Mutter, die immer wieder Grenzen überschreitet und einen Vater, der dazu schweigt. Ein Elternpaar, das sich genügt, das sich heilt, darüber aber die Bedürfnisse der Tochter übersieht. Die hat eigentlich keinen Platz. Die Vorstellungen der Mutter stimmen nicht mit der Realität überein und als es zu übergriffig wird, verliert Maria ihre Stimme.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wieso sie im Haus der Eltern bleibt. Nur wegen der wenigen Einnahmen und der gesparten Miete? Dann doch lieber kellnern gehen. Aber sonst gäbe es ja dieses Buch nicht. Und außerdem ist es auch ein gewisser Grad an Lähmung und Depression, der Maria in ihrer Wohnung im Hause der Eltern erstarrt und leise leben lässt. Außer wenn sie die zu laute Musik hört, die ihre sehr gläubigen Eltern gerne durch Klassik-CDs ersetzen würden. Maria selbst ist still, ein Schatten.
Einen Thriller würde ich Mutterwut nicht nennen, auch wenn das Buch die ganze Zeit düster und bedrückend wirkt. Sprachlich großartig, beschreibt Bunes nur wenige Tage im Leben der Familie. Aber darin verwoben auch das ganze 41-jährige traurige Leben der Tochter, die die ganze Geschichte ihrer Eltern und deren Verhalten sogar versteht. Sie schaut sich die kranke Beziehung ihrer Eltern zur Großmutter an, erklärt für sich, was da schiefläuft. Aber sie schafft es nicht zu gehen.
Wir Leser finden Maria in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses vor. Sie wartet auf ihren Prozess, schreibt sich das Geschehene von der Seele und wir – am Ende als Richter angesprochen – lesen, was sie durchmachen musste.
„Du bildest dir das alles nur ein“, sagt die Mutter gerne zu ihr, wenn sie versucht, sie zur Rede zu stellen, weil sie wieder einmal vor Verwandten oder Freunden über Maria gelästert und geschimpft hat.
Maria hat sich jedoch weder verhört noch sind ihre Gefühle falsch. Die Mutter betritt Marias eigene Wohnung, wann immer es ihr passt und lässt ein NEIN in keiner Situation gelten. Die Tochter flüchtet stundenlang in den Wald. Liebt die Natur, ihre Katzen. Ohne ihre Katzen wäre sie vermutlich gar nicht in der Lage zu überleben. Maria beschreibt zum Beispiel ihre Geburtstage im Haus der Eltern:
Meine Mutter umarmte mich auch, aber mit einer Umarmung, gegen die sich mein ganzer Körper wehrte …
Wie sehr hätte sie sich gewünscht, gesagt zu bekommen „bleib wie du bist“, so wie sie es bei ihren Mitschülerinnen zuhause hörte. Stattdessen ist die Mutter davon überzeugt, „Du bringst mich noch ins Grab“.
Briefe an die Mutter laufen ins Leere. Sie habe 41 Jahre nach dem Tonfall gesucht, der ein NEIN akzeptabel gemacht hätte, schreibt Maria. Doch da es diesen Tonfall anscheinend nicht gab, haben sich die Wörter „im Keller meiner Kehle verschanzt, weil sie sich nicht mehr krümmen und buckeln wollten.“
Maria freut sich während sie das schreibt auf ihren 42. Geburtstag, den ersten, den sie allein verbringen darf, und erklärt, dass Alleinsein für sie eine fröhliche Vorstellung ist – anders als bei Menschen, die „unter Leuten Luft bekommen“.
Sie hat sich Luft verschafft. Und bleibt doch eingesperrt. Erstmal.
Marianne Bones: Mutterwut
Paperback, 180 Seiten
ISBN 978-3-89741-370-2
www.ulrike-helmer-verlag.de: marianne-bunes-mutterwut
auf der Seite kann man auch das Cover downloaden