phenomenelle

kulturelle

LITFEST homochrom

Buika – die Stimmsensation aus Spanien im Interview

Buika Konzert 2015, Fotocredit: @Tâmera Vinhas

Wirklich phenomenelle: die Sängerin Buika im Interview und live

María Concepción Balboa Buika, besser bekannt als Concha Buika, macht derzeit auf allen Ebenen von sich reden: sie ist auf Tour, hat so eben ihr sechstes Studioalbum „La Noche más larga“ (zu deutsch „Die längeste Nacht“) veröffentlicht, arbeitet bereits am nächsten, produziert einen Film mit ihrem Bruder zusammen und demnächst erscheint ihr zweites Buch. Berlin, Hamburg, Köln, Schweiz, Österreich, Luxemburg und bald auch London sind nur einige der Stationen Ihrer Tournee. Das hätte sich die mittlerweile 42jährige in Ihrer Kindheit nicht träumen lassen, denn was heute Stimmwunder genannt wird, wurde damals als unpassend abgetan. Ein Latin Grammy und die lobende internationale Presse bestätigen ihr Tun.

Trotz vollem Terminplan konnte sich die spanische Sängerin mit Phenomelle-Gastautorin Larissa in Berlin treffen. Die Sängerin mit der rauchigen Stimme überraschte mit einem außergewöhnlichen Interview und einem genauso authentischen, intensiven Konzert am nächsten Abend. Für alle Fans der intensiven, spanischen Musik, angelehnt an Flamenco, mit starken Emotionen und hervorragend aufeinander eingespielte Musiker, auf jeden Fall empfehlenswert.

„Ich bin Musik“

Zuerst einmal herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung des neuen Albums und deiner Tournee. Was war deine Inspiration für das Album und die Songs darauf?

Glaub mir, wenn ich dir sage, dass keine Richtung zu haben, eine Richtung ist. Ich habe kein Thema im Kopf; ich weiß nur, dass ich meinen Teil beitrage und das tue ich so gut wie möglich. Jedes Lied hat sein eigenes Geheimnis doch über-male ich nicht gerne. Es geht darum zuzuhören. Was durch deine Ohren geht, geht in deine verborgenen Räume. Und du hast deine eigenen Ideen.

Du hast einmal gesagt „ich bin Musik“, das geht in diese Richtung.

Buika Konzert 2015, Fotocredit: @Tâmera VinhasJa, deshalb ist es für mich manchmal schwer über Musik zu sprechen. Musik ist für mich etwas, das gehört oder vielleicht komponiert werden will, aber nicht, darüber gesprochen zu werden. Es ist nicht greifbar. Du fühlst es. Und ich weiß immer, woher ich singe, doch weiß ich nie, von woher hörst du zu. Also kann ich mich nicht verantwortlich dafür machen, was du hörst oder fühlst. Und was du hörst und was du fühlst ist vollständig persönlich.

Ich verstehe, dass du in einer Welt des geschriebenen Wortes lebst, welche versucht, die Gefühle durch Worte zu greifen. Ich bin auch eine Autorin und ich weiß, das ist nicht einfach, doch wenn ich über das Singen spreche, ist das sehr schwierig.

Für mich gibt es keine Zuschauer. Es gibt nur Familie.

Wenn man von dieser Basis ausgeht, wenn du auf die Bühne gehst, ist jedes Konzert anders. Doch es gibt ja Noten, eine schriftliche Basis und etwas, was die Leute erwarten. Wie machst du das bzw. wie beeinflusst das deine Songs?

Ich habe keine „message“, nur zwei Regeln: vergiss nie die prenote (musikalische Kurznotizen, Anm.d.R.), es leitet mich durch die Show, und habe nie Angst vor der Familie. Was manche Zuschauer nennen, nenne ich meinen Stamm, meine Familie. Und es gibt keine Geheimnisse zwischen uns, daher auch keine Angst, zusammen zu sein. Ich fühle mich zuhause.

Und das war nie anders? Es gab nie eine Menge, bei der du dachtest, „komischer Stamm“?

Sag mir den Unterschied zwischen einer Träne in Mexiko und einer Träne in China- und dann wäre das anders. Doch der Kampf, Kummer und Glück, sind überall auf der Welt das Gleiche. Wir verstecken immer noch die gleichen dummen Geheimnisse. Wir verlieren immer wieder und suchen das Selbe.

Es gibt dem ganzen einen anderen Vibe. Um zum Album zurückzukommen: was ist dein liebstes Lied auf der aktuellen CD?

Weißt du was, ich arbeite nun schon eine ganze Weile an meinem neuen Album. Ich denke nicht mehr über dieses Album nach und fokussiere mich auf das Neue. Ich bin jetzt auf Tour und verabschiede damit diesen „alten“ Sound.

Bald bin ich 43, und das heißt, dass ich noch jung bin und das Spiel jetzt beginnt. Ich habe erst die Frau in mir entdeckt und ich möchte genießen, ich möchte es so gut wie möglich machen. Ich arbeite mit tollen Menschen. Ohne so gefährliche Worte wie schuld haben und so. Ich glaube wirklich, dass wir alle diesen unnützen Worte aus unseren Wörterbüchern streichen können und mit Worten wie beispielsweise Verantwortung ersetzen können. Ich bin der Eigner meines Lebens statt Freiheit und solche Sachen. Die helfen ins im Leben. Manchmal ist das Leben ein Labyrinth und oft sind wir nur wie Roboter. Und wir sollten ein bisschen Raum für und in unserem Leben zurückgewinnen. Mehr ist es nicht.

Ich habe geglaubt ich wäre dumm und zu nichts zu gebrauchen.

Wie machst du das persönlich? Gibt Musik dir diesen Raum?

Buika Konzert 2015, Fotocredit: @Tâmera VinhasIch werde ehrlich zu dir sein; Musik hat mir sehr geholfen. Aber was mir wirklich half, war zu verstehen, dass ich nicht im Geringsten zu den Auserwählten gehörte. Zu denen, die von Gott gesegnet sind. Zu den Menschen, die quasi fliegen, nicht laufen und das perfekte Leben haben. Das war ich nicht. Das kann jetzt falsch verstanden werden. Aber seit ich ein kleines Kind war, so mit 12, 13 Jahren, wollte ich nicht länger „kastriert“ werden. Ich konnte nicht noch mehr Ängste aufnehmen. Es war zuviel für mich. Ich brach damals mit allem und landete auf der Straße. Ich war ein Disaster. Ich begann Menschen zu glauben die sagten: „Armes kleines Mädchen. Sie ist dumm. Sie wird es im Leben nirgends hin schaffen. Sie hat keine Zukunft. Wo wird sie nur enden“. Blablabla. Andererseits war es auch eine gewisse Art von Freiheit. Denn niemand erwartet irgendetwas von mir. Also war jeder kleinste Gewinn schon ein riesen Gewinn.

Was hat sich dann geändert?

Ich habe diese Dinge wirklich geglaubt. Als ich meinen ersten Job gesucht habe, habe ich die Eignungstests nicht einmal versucht, so sehr war ich überzeugt, dass ich zu nichts fähig war. Ich habe nicht einmal die erste Frage gelesen. Ich dachte damals, dass ich wohl als Tänzerin oder Bedienung enden werde. Doch war ich auch nicht hübsch. Ich bin klein, meine Haut ist wie sie ist. Also wollte mich da auch niemand.

Der erste Applaus änderte alles

Also was hat sich geändert?

Der erste Applaus. Weil niemanden den Idioten applaudiert. Da war ich etwa 16. Ich erinnere mich, dass meine Tante zu uns kam und meine Mutter gefragt hat, ob jemand in der Familie singen könnte. Sie war Hotelsängerin und es wurde jemand für einen Clubgig gefragt. Ich meinte nur, Gott nein, ich kann nicht singen. Was auch daran lag, dass mir in meiner Kindheit gesagt wurde, dass ich wie ein Hund singe und meine Stimme hässlich sei. Du hörst ja selbst, wie rau sie ist. Diese Stimme hatte ich schon immer, auch als Mädchen. Das hat mich deprimiert und ich dachte, sie ist nicht gut genug und ich habe aufgehört zu singen. Man glaubt einfach den Menschen um sich herum. Sie meinen es ja nicht böse. Doch man vertraut ihnen und fängt an die Dinge zu glauben, die sie sagen. Wir sollten nur sehr aufmerksam damit sein, was wir unseren Kindern sagen. Denn einem Kind zu sagen, du verhältst dich dumm ist etwas ganz anderes als zu sagen, du bist dumm. Der Kopf nimmt diese Sachen auf und es hat lange gedauert, das loszuwerden. Deshalb nenne ich meine Zuschauer auch meine Familie, denn sie sind meine Schwestern und Brüder. Sie setzen sich vor mich und sie sind es auch, die mir am ersten Tag applaudiert haben.

Du bist also zum Gig deiner Tante zum Singen gegangen?

Naja, nachdem sie erzählte dass der Gig mir 10.000 Pesetas bringen würde, meinte ich nur, „Was? Ich singe!“ „Und was wirst du singen?“ „Ach ich weiß es nicht.“ (lacht)

Und was hast du dann gesungen?

Buika Konzert 2015, Fotocredit: @Tâmera VinhasBullshit. Ich habe einfach Blues erfunden. Aber weißt du, auf Mallorca, mit 50 alten Leuten, was wussten sie schon von Englisch und Blues. Sie haben es geglaubt. (lacht) Aber das ist es, was ein Tier tut um zu überleben. Man nimmt die Lügen und macht sie wahr, wenn es sein muss.

Und dieser Abend war Blues und die Leute haben es geglaubt und haben applaudiert. Und ich war schockiert. Das war ernst für mich. Es war das erste Mal, dass mir die Leute zuhörten. Ich bin das vierte Kind von sechs Schwestern und Brüdern plus Cousins etc. etc. Ich war es nicht gewohnt, dass mir jemand zuhörte. Von damals bis heute bin ich nie von dieser Bühne runter.

Neues Buch, neuer  Film, neues Album

Was kommt als nächstes?

Mein zweites Buch kommt demnächst heraus „A los que amaron a mujeres dificiles y acabaron por soltarse”.

Was bedeutet der Titel?

Es ist ein bißchen schwierig zu übersetzen. Es heißt in etwa so viel wie „To those who loved difficult women and ended up breaking free“. Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll, den “soltarse” im Spanischen bedeutet, wenn man etwas lange festhält, dass die Hand schon weh tut, und man einfach loslassen muss. Nicht unbedingt dass man – wie in diesem Fall – die Frau loslassen muss, sondern man lässt den Kampf los. Also „Für diejenigen, die schwierige Frauen liebten und den Kampf aufhörten.“

Kreativität oder: die Monster in uns brauchen Raum

Wovon handelt es?

Es beinhaltet in etwa 16-20 Gedichte, auch wenn meine Freunde sagen, es sind keine Gedichte. Ich glaube es sind Gedichte, für mich sind sie es. Und es gibt 6-10 „Singrezepte“, beispielsweise statt ein Ei anhand der Uhr zu kochen, singst du ein Lied. Und das sind einige Lieder vom Kochen. Außerdem gibt es vier Geschichten. Eine davon ist z. B. die, welche ich auch als Basis für meinen ersten Film als Produzentin nutze. Sie heißt „From Loneliness to Hell“ („Von der Einsamkeit zur Hölle“ Anm.d.R.). Ich beschreibe damit den Aufstieg von Einsamkeit zur Hölle weißt du.

Zur Hölle hinauf? Ich dachte mehr die Hölle wäre eher unten und ein Abstieg.

Einsamkeit ist Freiheit. Es ist der einzige Ort an dem eine Frau sich selbst fühlen kann ohne jemand anderen innezuhaben. Deshalb ist es für mich ein Aufstieg.

Möchtest du mir etwas mehr über den Film dazu erzählen?

Ich arbeite hauptsächlich am Soundtrack derzeit. Hoffentlich wird er zum Ende des Jahres veröffentlicht. Oder Anfang nächsten Jahres. Oder Mitte nächsten Jahres. Wie diese Dinge eben immer so sind.

Wie war die Arbeit als Produzentin im Gegensatz zur Arbeit als Sängerin?

Ich mag es nicht. Man gibt und gibt und gibt und der Produzent ist nie zufrieden. (lacht) Doch in diesem Fall ist der Produzent mein Bruder also bin ich lieber still, sonst gibt’s noch Ärger. (lacht) Ich werde also schön weitermachen.

Es wird auch ein neues Album demnächst geben? In welche Richtung wird es musikalisch gehen?

Buika Konzert 2015, Fotocredit: @Tâmera VinhasIch tue Dinge, weil ich sie tun möchte, nicht um etwas zu versuchen. Bei diesem Album will ich einfach scheußlich und rein sein, pur. Ich weiß nicht, in welche Richtung es gehen wird. Einfach pur. Ich nehme auf und nehme die Verrücktheit auf und werde am Ende das Album finden. Und es wird unglaublich klingen! Ich nehme die Person, die ich bin. Ich entdeckte viele Seiten an mir. Wir verstecken unsere Monster in uns. Wir verstecken Teile unserer Persönlichkeit. In unserer „Educastration“ (Wortkreation aus Education (Bildung) und Castration (Kastration) Anm. d. R.) wird immer gleich alles als Fehler abgestempelt. Fuck it. Das ist nicht fair. Deshalb gibt es diese Monster. Es sind Teile in uns, die wir verstecken, die wir nie wirklich entdecken und zu Ende bringen, weil es uns nicht erlaubt ist. Es gibt so viele Buikas und Conchitas in mir, die vielleicht frustriert und wütend sind. Manchmal glaube ich, dass wir einfach nur unsere Kreation zu Ende bringen müssen. Zumindest ist es das, was ich stets getan habe. Diese Monster in mir sind nur Schöpfer, verschiedene Schöpfer. Und ich gebe Ihnen einen Namen und gebe ihnen Raum. Und jetzt siehst du eines dieser Monster auf der Bühne und die Menschen sagen es ist fabelhaft. Doch ich habe diese wundervolle Kreatur in mir so lange versteckt. Mein ganzes Leben bis vor nicht allzu langer Zeit. Weißt du wieso? Weil sie etwas schaffen konnte. Und mir wurde früher gesagt, ich bin ein Lügner. Doch es war nicht gelogen, sondern ich habe etwas geschaffen, etwas erfunden. Das ist Kreativität. Es hat nichts mit Lügen zu tun. Die, die träumen, kreiieren und schaffen etwas. Es hat lange gedauert, bis ich das entdeckt und verstanden habe. Es hat alles seinen Sinn und die Monster einfach sein zu lassen, als Teil meiner Realität. Wir tun zu häufig das, was die Menschen von uns erwarten. Das ist nicht sicher, sondern Selbstmord. Comfort Zone my ass. Wir sind menschlich. Wir brauchen keine Komfortzonen. Wir brauchen Spaß. Und der Spaß ist immer außerhalb unserer Komfortzone. Wir sterben vor Langeweile. Die Komfortzone ist langweilig.

Wirklich inspirierend. Herzlichen Dank für das Interview.

Wir ähneln einander alle viel mehr als wir immer denken. Und auf der Bühne bin ich mit meiner Familie. Ich danke auch herzlich.

Fotocredit: Buika beim Konzert in Berlin am 18.3.2015, @Tâmera Vinhas

Konzert:

Buika Gesang
Daniel López Vicente Gitarre
Ramón Suárez Escobar Cajon
José Manuel Posada Oviendo Bass

 

CD:

Buika – La noche más larga

Label: Warner Music International (Warner)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 21. April bis zum 3. Mai 2024
  • Fernsehinfos vom 6. bis 19. April 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“
  • Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit