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Myriane Angelowski über Widerstände, Stereotypen und den langen Atem

Unsere Phenomenelle-Autorin R. Dorn traf Myriane Angelowski und sprach mit ihr über Gewalt gegen Frauen, weibliche Sozialisation, Widerstände von anderen und eigene Widerstände. Dabei blieb es nicht aus, auf das Durchschauen von eigenen Vorurteilen und verinnerlichten Stereotypen einen Blick zu werfen und wie dies alles das schriftstellerische Dasein der Autorin beeinflusst.

Myriane Angelowski, Foto: Stefanie Biel, Emons-VerlagR. Dorn: Ich mache die Erfahrung, dass es einen langen Atem und viel Geduld braucht, wenn es darum geht durch Öffentlichkeitsarbeit, Präventions- und Aufklärungskampagnen die Situationen von gewaltbetroffenen Frauen zu verbessern. Du warst acht Jahre als Referentin für Gewalt- und Präventionsfragen bei der Stadt Köln tätig. Wie waren deinen Erfahrungen? Teilst du diese Einschätzung?

M. Angelowski: Ja, es ist ein langer Weg. Ich habe Sozialarbeit studiert und entschied mich dann, nachdem ich in verschiedenen Beratungstätigkeiten involviert war, 1990 für die konzeptionelle Arbeit, also das Organisieren von Fachtagungen, Fortbildungen oder die Erstellung von Präventionsmaterial.  Wir hatten zum Beispiel damals gemeinsam mit Wen Do-Trainerinnen eine Broschüre für Köln entwickelt, um Frauen über verschiedene Selbstverteidigungsangebote in Köln zu informieren. Auch wollten wir vermitteln, wie sich die Angebote unterscheiden und für welche Frau sich was eignet. Ja und du hast Recht, es braucht einen langen Atem. Ich erinnere mich an so manche  Widerstände, die ich in der Zeit als Referentin für Gewalt- und Präventionsfragen begegnet bin.

R. Dorn: Welche Situation ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

M. Angelowski: (lacht) Ach da gibt es viele. Das Bagatellisieren und Verharmlosen  von Gewalt gegen Frauen haben wir ja erst jetzt wieder bei der Aufschrei-Kampagne zu spüren bekommen, leider. Ich meine, die Frauen-  und Gleichstellungsämter sind nicht entstanden, weil Männer gesagt haben, wir brauchen jetzt mal Gleichberechtigung. Das Thema frauengerechte Stadtplanung zum Beispiel nahm im Frauenamt der Stadt Köln großen Raum ein. Es gab viele mühsame und langwierige Diskussionen. In verschiedenen Gremien versuchten wir für den ‚Frauenblick‘ auf Angsträume und Probleme zu sensibilisieren. Ein schwieriges Unterfangen, deshalb planten wir einen Aktionstag. VertreterInnen des Stadtentwicklungsausschusses wurden mit Kinderwagen und Einkaufstaschen ausgestattet und hatten den Auftrag mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von A nach B zu kommen. Um diese Erfahrung reicher, konnte realitätsnäher am Tisch über mehr barrierefreie Bahnhaltestellen und angstfreie Räume diskutiert werden.

Es braucht Zeit und ein Bewusstsein für eine feministische Sicht auf die Welt

R. Dorn: Die Widerstände, das Bagatellisieren und Verharmlosen beim Thematisieren von Gewalt gegen Frauen sind Kommentare, die wirken für mich immer wie Schläge ins Gesicht.

M. Angelowski: Um ehrlich zu sein, hatte ich damals mit Widerständen aus den männlichen Reihen gerechnet und fühlte mich da auch gut gewappnet. Allerdings war ich nicht auf den Widerstand der Frauen vorbereitet. Das hat mich am Anfang sehr irritiert, weil ich dachte mein Innen ist auch das Innen von anderen Frauen. Bis ich begriffen habe, dass es wahrscheinlich Zeit und ein Bewusstsein für eine feministische Sicht auf die Welt braucht, um zu verstehen, dass das Private tatsächlich politisch ist. Ich werde all die Diskussionen mit Studentinnen rund um die Themen Frauensprache und die Benutzung des Binnen-Is in meiner Zeit als Dozentin an der Fachhochschule nie vergessen. (lacht) Auf der anderen Seite wenn nach all den Diskussionen nur zwei Studentinnen dabei waren, die sich danach engagierten und vielleicht einen anderen oder auch etwas feministischeren Blick auf den Alltag hatten, wusste ich, es hat sich gelohnt.

R. Dorn: Ich bin Jahrgang 1980 und es ist fast unglaublich, aber in meiner Schulzeit gab es keine Aufklärung über Themen wie Häusliche Gewalt, oder gar ein Sprechen über weiblich und männliche Sozialisation, damit überhaupt ein Hinterfragen der eigenen Position möglich ist. Bei mir hat es lange gedauert, bis ich angefangen habe, das vermeintlich Selbstverständliche zu hinterfragen und mich damit auseinander zu setzen, inwiefern ich eher weiblich sozialisiert bin und dadurch vielen Einschränkungen unterliege.

M. Angelowski: Ja, klar. Auch als Autorin beobachte ich gern das Verhalten von Menschen. Ich achte beispielsweise darauf, wie Mütter und Väter mit ihren Mädchen und Jungs umgehen. Dabei stelle immer wieder fest, wie frühzeitig durch die Erziehung Kinder auf geschlechtsstereotypische Verhaltensweisen festgelegt werden. Während der Vater durch kräftiges Anfeuern und Beteuerungen im Sinne „Du schaffst das!“ den Jungen motiviert ganz gelassen die Balancierstange auf dem Spielplatz zu meistern und wird das Mädchen stattdessen von demselben Vater ganz behutsam über die Stange geleitet und ermahnt, dass sie vorsichtig sein soll. Manchmal wünsche ich mir wirklich, Eltern würde das Geschlecht ihrer Kinder bei der Geburt gar nicht mitgeteilt und sie erfahren es frühestens, wenn die Kinder fünfzehn Jahre alt sind.

R. Dorn: Ja, ich habe es auch immer gehasst als Mädchen all die Warnungen, was mir passieren könnte und somit automatisch auf die Stirn geschrieben zu bekommen, ich gehöre zum schwachen Geschlecht.

M. Angelowski: Dies ist auch ein Grund, weshalb ich in meinen Kriminalromanen Begrifflichkeiten wie Opfer vermeiden möchte. Es geht mir auch darum, die Polarisierung und Stigmatisierung von Opfern als Frauen und Täter als Männer zu durchbrechen bzw. nicht unbedingt zu bedienen.

R. Dorn: Jetzt hast du schon ein wenig über deine schriftstellerische Tätigkeit gesprochen. Seit 2001 bist du als freischaffende Autorin selbständig. Richtig?

M. Angelowski: Ja, genau.

R. Dorn: Worauf achtest du noch bei der Entwicklung deiner Romanfiguren?

BuchCover FinkenmoorM. Angelowski: Ich habe bewusst in meinen Köln-Krimis ein Ermittlerinnen-Duo konzipiert. Für mich kam nur ein Frauenteam infrage. Eine meiner Kommissarinnen ist lesbisch, wobei ich hier sehr darauf achte, dass ihre Homosexualität wie selbstverständlich in den Gesamtkontext mit einfließt. Die zweite Kommissarin habe ich so angelegt, dass sie Karriere gemacht hat und ihr Mann sich um die Tochter kümmert. In den Büchern „Tödliches Irrlicht“ und „Finkenmoor“ benenne ich Frauen als Täterinnen. Dies war für meine eigene innere Auseinandersetzung wichtig. Und ansonsten achte ich darauf, dass Frauen neben den Männern in allen möglichen Facetten sichtbar werden, eben auch als Täterinnen, als Leiterin des Erkennungsdienstes oder Polizistinnen im Streifenwagen. Naja, und dann bemühe ich mich sehr, so wenig wie möglich in eigene Fallen von Vorurteilen und Stereotypisierung zu tappen.

R. Dorn: Dies ist bestimmt ein Balanceakt. Manchmal ist wahrscheinlich ein Umweg über Schubladen unvermeidlich, um stereotype Denkweisen und Zuschreibungen entlarven zu können. Gleichzeitig birgt es die Gefahr Vorurteile zu verfestigen. Wie gehst du damit um? Ich denke dabei auch an deinen neuen Kriminalroman „Blutlinien“, in dem du mutig über Homophobie und homophobe Gewalt schreibst.

BuchCover BlutlinienM. Angelowski: Ich muss mich immer wieder selbst kritisch hinterfragen, damit ich nicht in ganz zu viele verinnerlichte Fallen tappe. Deshalb scanne ich regelrecht meine Romanfiguren und ich habe zum Glück kritische Erstleserinnen mit feministischen Sichtweisen. Diesen Diskussionen stelle ich mich dann. Das ist wichtig. Für „Blutlinien“ war es mir ein Anliegen, die Lesenden mit Rollenzuschreibungen ein wenig in die Irre zu führen und Homophobie als ein Thema, was sich durch alle gesellschaftliche Strukturen zieht, zu beschreiben. Dafür habe ich auch recherchiert und Gespräche mit Menschen geführt, die in Coming Out-Situationen extreme Homophobie erleben mussten.

R. Dorn: Mir fällt beim Lesen deiner Bücher auf, wie stark der Subtext bei dir ist und wie viele Themen du auch darüber an die LeserIn transportierst. Hier sprichst du auch über Privilegien, Abhängigkeitsverhältnisse und ein nicht ausreichendes Hilfesystem für Menschen und Angehörige, die von Gewalt betroffen waren. Ist das der Einfluss deiner vorhergehenden Tätigkeiten?

M. Angelowski: Ja, das stimmt. Ich transportiere einiges im Subtext. Aber ebenso wichtig ist mir, nicht belehrend zu schreiben. Eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten, ökonomische Abhängigkeiten oder auch emotionale und fehlende Privilegien, weil es Gesetze nicht hergeben, engen fatal den Handlungsspielraum, und die Möglichkeit aktiv gestalten zu können,  ein. Das hat in meiner beruflichen Arbeit als Sozialarbeiterin eine Rolle gespielt und wirkt bis heute. Ich werde auch sauer, wenn ich mir überlege, dass Betroffene von Gewalt sich erst mal einen Therapieplatz suchen müssen. Ganz zu schweigen von den langen Wartezeiten. Warum werden Betroffene und Angehörige nicht direkt angesprochen und somit automatisch über das Hilfesystem und Möglichkeiten der Unterstützung informiert? Der Subtext von meinem Mystery-Thriller „Der Werwolf von Köln“ lag mir auch besonders am Herzen. Die Figur der Amanda, deren Wahrnehmung von ihrem Umfeld nicht ernst genommen wird, weil bei ihr eine psychische Erkrankung diagnostiziert worden ist. Während der Stiefvater sein Bild nicht loslassen kann, wie eine Jugendliche zu sein hat als Maßstab dafür, dass alles in Ordnung und normal ist. Klar, greife ich hier auf Erfahrungen aus meinen vorhergehenden Tätigkeiten zurück. Und die Kunst besteht darin, den Lesenden genügend Raum zu lassen, damit sie sich selbst ein Urteil bilden können und ich nicht meine Meinung in den Vordergrund dränge. Die Entscheidung liegt bei den lesenden Personen.

R. Dorn:  Wo beginnt für dich Gewalt?

M. Angelowski: Gewalt beginnt für mich da, wo ich mich in irgendeiner Weise eingeschränkt oder bedroht fühle. Dies kann durch einen Blick geschehen, durch verbale Äußerungen, aber auch Vermeidung und Nicht-Handeln zählen für mich dazu. Ich habe sofort Situationen in öffentlichen Verkehrsmitteln vor Augen und einen bestimmten Männertyp, der sich raumeinnehmend breitmacht.

R. Dorn: Oh ja, die Breitmachmacker.  Zum Abschluss interessiert mich noch, welche Strategien du hast, um die eigene individuelle Entschlossenheit zu stärken?

M. Angelowski: Ich persönlich habe die Hoffnung, dass das Vorhandensein von einem Bewusstsein über ein Thema auch der Schlüssel zur Entschlossenheit ist und hilft, auch NEIN sagen zu können. Es ist ja nicht so, dass ich nach dem Schreiben mein Büro verlasse und alles vergesse, was mir wichtig ist. Das Agieren im persönlichen Umfeld ist ebenso wichtig, wie zu einem politischen Vortrag zu gehen. Ich rege mich immer noch auf und es gibt Situationen, da kann ich meinen Mund nicht halten.  Zum Beispiel auch wenn Frauen nicht genannt werden. Das Nicht-Einbeziehen von Frauen in der Sprache bringt mich regelmäßig auf die Palme. Und zu recht! Lass ein einziges Mal die Männer weg und sprich ausschließlich in der weiblichen Form, wenn auch Männer involviert sind! Der Protest wird in der Regel prompt kommen und macht deutlich, worum es geht! Auch fällt mir auf, wenn zum Beispiel bei Krimifestivals überwiegend männliche Autoren eingeladen sind. Und ich achte auf meine Grenzen und Ressourcen. Dies gehört für mich auch zur Entschlossenheit. So bin ich achtsam mit meinen eigenen Grenzen und weiß genau, dass es für mich nicht mehr funktioniert, mich völlig unbeschwert zu jeder Tages- und Nachtzeit  im öffentlichen Raum zu bewegen. Ich bin sehr gerne eine Frau, aber es gibt Situationen, da denke ich: Mensch, wie das wohl ist, so als Mann. Vielleicht mal für einen Tag! (lacht) Aber auf keinen Fall länger!!

R. Dorn: Ach, das lässt sich machen. Wie wäre es mit einem Drag King Workshop bei Diane Torr? Herzlichen Dank für das Gespräch.

Myriane Angelowski ist 1963 in Köln geboren und aufgewachsen im Bergischen Land. Sie ist Mitglied der „Mörderischen Schwestern“ und des „Syndikats“. Jurymitglied des renommierten Friedrich-Glaser-Preises 2014 in der  Sparte „Debüt“.  Weitere Infos unter: http://www.angelowski.de

 

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