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Möge die Macht der Liebe mit dir sein, Carol
Haynes Film ist ein Meisterwerk über Liebe und Begehren
Gute Filme wirken nach, Meisterwerke darüber hinaus – oftmals nicht sofort, sondern in den Stunden, Wochen und Jahren danach. Carol von Todd Haynes wirkt nach und darüber hinaus. Der Film beginnt mit einem zufälligen Treffen. Wir folgen einem alten Freund von Therese, einer der beiden Hauptfiguren, wie er sie und die titelgebende Carol gemeinsam bei Kaffee und Kuchen entdeckt. Ahnungslos lädt er die alte Freundin zu einer Party ein. Mit schwebender Eleganz flüchtet Carol, nicht ohne Therese durch einen warmen Händedruck, der einen Moment zu lange auf deren Schulter verweilt, ein Signal zu geben. Diese Szene ist einerseits beiläufig inszeniert und andererseits so gewichtig, dass das Meer an Gefühlen, das in dieser Geste mitschwingt, am eigenen Leibe spürbar scheint. Ungewollt grob und fast übergriffig folgt eine ähnliche Handbewegung des Freundes.
Auf genial subtile Weise macht Regisseur Haynes in der Eingangssequenz deutlich, worum es in diesem Film geht, um eine verbotene Liebe, deren Macht sich niemand entziehen kann. Zu aller Letzt die beiden Hauptcharaktere, kongenial gespielt von Cate Blanchett (Carol) und Rooney Mara (Therese). Die Szene markiert den Auftakt für eine Rückblende, die uns die Geschichte der Liebe zwischen Carol und Therese erzählt. Viele Film-Minuten später sehen wir die gleiche Szene noch einmal, aus einem anderen Blickwinkel. Erst da verstehen wir, welche Brisanz das Treffen für Carol und Therese hat. Es ist der endgültige Wendepunkt in der Geschichte. Carol legt ihre Karten auf den Tisch, nun ist Therese am Zug.
Carol und Therese – Unterschiede ziehen sich an
„Ein Meisterwerk“, „Film des Jahres“, „Liebesgeschichte eines Jahrzehnts“ – die internationale Presse überschlägt sich voll des Lobes für Carol. Bis auf wenige Ausnahmen, aus denen sich herauslesen lässt, wie wenig sie denFilm verstanden haben, tut es ihr das deutsche Feuilleton gleich. Der Film ist all das tatsächlich und noch viel mehr. Carol führt uns zurück in das New York Anfang der 50er Jahre. Die Schatten des II. Weltkriegs und die Euphorie über den Sieg sind verflogen, die Männer in ihre Berufe zurückgekehrt und die Frauen an den Herd. So auch Carol Aird, ihr Begehren, das sie bereits früher zur besten Freundin Abby einmal auslebte, hat die Hausfrau und Mutter einer kleinen Tochter in die Tiefen ihres Empfindens verbannt. Das innere Feuer lebt gut versteckt hinter der Fassade der mondänen, wohlhabenden, kühlen Blondine.
Therese Belivet ist das genaue Gegenteil, jung, kaum 20 Jahre, dunkelhaarig. Mit den ausdrucksstärksten Rehaugen seit Audrey Hepburn blickt sie von der Leinwand in den Kinosaal. Und wird völlig überfahren von diesen aufkeimenden starken Gefühlen für eine Frau. Der Zauber der ersten Liebe versteckt hinter Scheiben, gepresst in Fensterrahmen und körnige Filmbilder. Selten gelang es einem Film, ihn gleichzeitig so magisch und nachvollziehbar zu erzählen. Fast spürt man ihn wieder auf den eigenen Lippen, diesen ersten Kuss der ersten großen Liebe. Anders als in der Romanvorlage, die dem Film zugrunde liegt, will Therese Fotografin werden. Carol schenkt ihr zu Weihnachten eine neue Kamera. Damit erobert sie sich den Blick für die Welt, lernt die Bilder, ihre eigenen Gefühle und die Welt zu entziffern und schließlich selbst zu entwerfen.
Die Grundlage ein Highsmith Roman
Das Buch, auf dem der Film basiert, erschien erstmals 1952 unter dem Titel The Price of Salt (in Deutschland 1990 als Carol – Roman einer ungewöhnlichen Liebe und 2005 in neuer Übersetzung als Salz und sein Preis). Für das Mainstream-Publikum unbemerkt, galt der Roman Generationen lesbischer Frauen als Offenbarung. Erstmals in der Weltliteratur war keine der beiden Liebenden eine mordende Vampirin oder eine neurotische Psychiatriepatientin und am Ende sind beide weder tot noch bekehrt. Autorin Claire Morgan gönnt ihren Liebenden ein lebendig-lesbisches Happy-End. Dass sich hinter Morgan die aufstrebende Königin des psychologisch vielschichtigen Krimis Patricia Highsmith verbarg, erfuhr das Publikum erst fast 40 Jahre später. Zu sehr musste die selbst Frauen liebende Schriftstellerin Anfang der 50er Jahre um ihre Karriere und ihren Ruf fürchten. Hatte sie doch gerade erst mit ihrem Erstlingsroman Strangers on a Train einen Achtungserfolg gelandet und das Interesse des großen filmischen Meisters des Suspense Alfred Hitchcock geweckt.
Zwei Frauen erobern sich ihren Platz in der Welt
Die kühle Blondine – für Highsmith wie für Hitchcock der Inbegriff der erotischen Fantasie –, Blanchett erweckt diese längst begraben geglaubte Faszination auf der Leinwand wieder zum Leben. Ihre Fassung verliert sie nur kurz in Blicken und kleinen Gesten, wenn sie der schlafenden Therese im Auto liebevoll den Mantel gegen die Kälte umlegt oder fahrig nach einer Zigarette nestelt. Es braucht lange bis die Fassade zerbröckelt. Auch Carol ist eine Suchende, auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt. Ihre Ehe liegt längst in Trümmern. Ehemann Harge will das trotz der bereits eingeleiteten Scheidung nicht wahr haben. Auch er liebt Carol, aber er liebt sie so wie er seinen Besitz liebt. Harge bleibt ein echtes Kind seiner Zeit, in der die Frau Eigentum des Mannes war. Er bedroht die aufkeimende Liebe der beiden Frauen zueinander, indem er Carol verfolgen lässt und ihr mit dem Entzug des Sorgerechts für die gemeinsame Tochter droht. Eine Weile spielt sie das Spiel aus Angst mit. In einer von Blanchetts stärksten Szenen befreit sie sich mit einem fulminanten Coming Out, indem sie nicht länger gegen ihre „innere Natur“ verstoßen mag. Dafür verzichtet sie auf Ungeheuerliches zumal für eine Frau, das Zusammenleben mit der geliebten Tochter.
Nur scheinbar hat Therese viel weniger zu verlieren. Sie, die Begabte, erkämpft sich das Interesse an ihren Bildern und kommt bei der ehrwürdigen New York Times unter. Die dumme Anmache und das Unverständnis, die einer jungen Frau in dieser Männerwelt entgegen bläst, werden nur angedeutet. Sie hat Glück, dass ihr nichts Schlimmeres widerfährt. Der Film erzählt auch von dem jeweils eigenen Weg der Emanzipation dieser beiden so unterschiedlichen Frauen, die sich am Ende als Ebenbürtige wieder begegnen. Atemberaubend ist neben dem Spiel der Schauspielerinnen, die Art wie die Geschichte erzählt wird. Drehbuchautorin Phyllis Nagy legt den Grundstein mit einem dichten Drehbuch, dass mit wenig Dialog und starken Momenten auskommt. Regisseur Todd Haynes und sein Kameramann Ed Lachmann erfinden dazu eine Bildsprache, die nicht zufällig an die großen Melodramen von Douglas Sirk erinnern. Haynes holt das Genre aus der etwas angestaubten Filmkiste, haucht ihm Leben ein und inszeniert es neu und modern.
Kritische Hommage an die 50er Jahre und ihr Kino
Carol ist gleichzeitig eine kritische Hommage an eine längst vergangene bleierne Zeit, an ein Hollywood-Kino das bild- und blick-gewaltig Emotionen in Szene setzte und ein zeitloser Kommentar zu den Schwierigkeiten einer Amour Fou, gekleidet in das erwachende Begehren zweier Frauen füreinander. Wer die Zeichen zu deuten weiß, erkennt in den Blicken und Gesten des Films wie schwer eine Liebe außerhalb der Norm zu leben ist. Und wie schnell sich scheinbare Toleranz und Akzeptanz ins Nichts aufzulösen vermögen – wenn die gesellschaftlichen Umstände denn so sind. Allzu sicher dürfen wir uns auch in den heutigen scheinbar so emanzipierten Zeiten nicht einrichten. So wirkt Carol weit über die Zeit, in der er spielt, hinaus.
Fotocredit: Offizielle Pressefotos Carol © Wilson Webb / DCM
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