phenomenelle

kulturelle

LITFEST homochrom

Lesbenleben in Glasgow: Lip Service

Lust und Frust schottischer Großstadt-Lesben

Lip-Service-Cast

Harriet Braun hat uns eine wunderbar lebensechte, gefühlsnahe TV-Serie beschert, deren erste Staffel jetzt endlich auch in Deutsch untertitelt erhältlich ist.

Lip Service ist gut gelungen. Die reizenden Schottinnen mit dem charmanten Dialekt, die im Mittelpunkt der BBC-Serie stehen, bringen Lesbenlust und -leid so lebensnah und intensiv auf den Bildschirm, dass sie sich nicht nur von übermächtiger US-Konkurrenz wie The L Word, sondern auch von der restlich gängigen TV-Kost wohltuend abheben.

Ruta Gedminta - Franke am ComputerOb sexy, todtraurig oder herumalbernd – wir können gar nicht anders als mit Cat, Tess und Sam zu fühlen, die sich mit Eifersucht, Jobsorgen, Geldproblemen und schlechtem Selbstbewusstsein herumplagen müssen wie die meisten von uns. Kein Glanz und Glamour, keine reichen Karrierefrauen oder ganztags perfektes Make-up … schön. Die schwer attraktive, aber ebenso komplizierte Frankie, um die sich immer wieder alles dreht, nimmt mit ihren zahlreichen familiären und sozialen Störungen einen Sonderstatus ein. Doch alle, die L Word vor allem wegen Shane geschaut haben, werden sich auch mit dieser blonden Version anfreunden – zumal ihre Figur stringenter und nicht gar so unnahbar gezeichnet ist.

Liebenswert lebensnah

Es gäbe wohl ein paar Dinge zu bemängeln: Dass Lip Service erst jetzt, drei Jahre nach ihrem britischen Start 2010, als DVD-Set mit deutschen Untertiteln zu uns kommt beispielsweise. Dass die Handlung nicht immer die originellste und schlüssigste Linie verfolgt. Dass die Darstellerin der zentralen Figur ihrer emotional enorm gefächerten Rolle manchmal nicht gewachsen ist. Ähnliches gilt allerdings auch für den bereits erwähnten, immens erfolgreichen US-Vorgänger The L Word. Diesen Vergleich scheute Autorin und Schöpferin Harriet Braun übrigens laut eigener Angabe so sehr, dass ihre liebenswerte schottische Lesben-Crew es beinahe gar nicht bis in die Produktionsphase geschafft hätte. Zum Glück hat Braun es sich doch anders überlegt. Denn so sind wir in den Genuss einiger weiterer Stunden feinsten Lesbenfernsehens gekommen!

Szene-Glasgow in Unruhe

Lip-Service-Cast in der WohnungDie Ausgangssituation ist rasch erzählt: Fotografin Frankie kehrt nach zwei Jahren und einer unschönen Trennung von Cat aus New York wieder ins heimische Glasgow zurück und bringt dort ordentlich Bewegung in ihren wiedergefundenen Freundeskreis. Zu dem gehören außer der gewissenhaften Architektin Cat noch deren unreifer Kollege Jay, die glücklose Schauspielerin Tess und ihr bester Freund Ed. Dazu mehr oder weniger häufig wechselnde Partnerinnen, allen voran die ernsthafte Polizistin Sam, die auch ein gründlich misslungenes erstes Date nicht von Cats Seite fernhalten kann. Frankie, einst von Onkel und Tante adoptiert und prompt entfremdet, hat außer mit ihren Gefühlen für Cat noch mit der aufwändigen Klärung ihrer familiären Herkunft zu kämpfen. Dabei gibt es allerhand Bewährungsproben für Liebe und Freundschaft zu bestehen, verständnisferne Eltern auszuhalten und Nachbarinnen zu beeindrucken. Nebenbei werden noch die schönsten Ecken, Plätze und Uferpromenaden der schottischen Metropole ins beste Licht gerückt – auch schön.

Überzeugende Schauspielleistung

Die Darstellerinnen agieren (bis auf Ausnahmen) sicher und überzeugend. Besonders Heather Peace, die sich in einem ausführlichen Interview zu ihrer Rolle äußert, zieht ihre Zuschauerinnen auf mitreißende Weise in ihre nicht eben einfache Welt als lesbische Kommissarin und loyale Partnerin von Cat. Die Sexszenen, die übrigens in der ganzen Serie authentisch und unvoyeuristisch ausfallen, gehören mit Heather Peace sicher zum besten, was Prime Time TV auf diesem Sektor zu bieten hat.

Kaum Komik

Frankie und Cat - Ruta Gedminta und Laura FraserAuf komische Szenen verzichtet Lip Service nach einem eher peinlichen klamaukigen Auftakt unter dem Bett einer Ex in der Pilotfolge weitgehend, was der Serie gut bekommt und sie ernstzunehmender macht. Laura Frasers Minenspiel als hin- und hergerissene Cat, Sams erotischer Liebesbeweis auf dem Kommissariat, Tess‘ nächtlicher Ausflug in die Welt der Handwerkerinnen – starke Eindrücke, die noch eine Weile nach dem Anschauen zurückbleiben.

Hetero & Lesbe mal anders

Die Männer der Gruppe sind angemessen unterzählig, ansonsten aber mehrdimensional und glaubwürdig vertreten. Der illoyale Frauenheld Jay ist nicht sonderlich sympathisch. Im Fall von Cats Bruder Ed aber, einem richtig feinen Kerl, gibt es eine nie gesehene TV-Konstellation: Heterosexueller Mann verliebt sich in eine unerschütterlich lesbische, ebenso liebenswerte Frau – gefällt mir! Erfreulich auch, dass in Lip Service entgegen dem aktuellen Trend kein einziges Regenbogenbaby gezeugt wird.

Gegen den reaktionären Trend

Lip-Service-Cast vor Haus

Ich bin ehrlich froh, dass uns im Fernsehen oder zumindest auf DVD solche Angebote zur Verfügung stehen. Ich hoffe, dass es immer mehr werden! Wenn ich daran denke, wie viele der üblichen TV-Formate à la How I Met Your Mother dermaßen reaktionär sind, dass sie noch nicht einmal den Mindestkriterien im Bechdel-Test genügen (mindestens zwei Frauen unterhalten sich miteinander über etwas anderes als einen Mann), dann freue ich mich umso mehr auf das Erscheinen der zweiten Lip-Service-Staffel in Deutschland.

Dass die Serie bereits nach der zweiten Staffel – begründungslos und trotz ordentlicher Quoten – von BBC Three gecancelt wurde, passt leider ganz in diesen bedauerlichen Trend und ist mehr als schade! Mehr lesbische Selbstverständlichkeit im Fernsehen würde uns allen guttun.

Gewinne eine DVD der ersten Staffel Lip Service

Wir verlosen unter den phenomenelle-Leserinnen gemeinsam mit Pro-Fun Media fünf DVDs der 1. Staffel von Lip Service. Schreibt einfach eine Mail an verlosung@phenomenelle.de mit Stichwort “Lip Service”. Anschließend Daumen drücken. Einsendeschluss ist der 25. Juli 2013, teilnahmeberechtigt sind nur Personen über 16 Jahre. Der Preis wird nicht in bar ausgezahlt. Die Gewinner_innen werden schriftlich per Mail benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Trailer:

Lip Service, GB 2010
Buch und Idee: Harriet Braun
Produktion: Polly Williams, Anna Ferguson
Darsteller_innen: Ruta Gedmintas, Fiona Button, Laura Fraser, Heather Peace, Roxanne McKee, James Anthony Pearson

2 DVD, Laufzeit ca. 346 Min.
Sprachen/Tonformat: Englische Originalfassung in Dolby Digital 2.0
Untertitel: Deutsch (optional)
Extras: Hinter den Kulissen, “Lip Look“ Extra Feature, Interview mit Harriet Braun

Fotos: PRO-FUN MEDIA

Related Posts

2 thoughts on “Lesbenleben in Glasgow: Lip Service”

  1. Pingback: Lip Service

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 9. bis zum 22. März 2024
  • Fernsehinfos vom 24. Februar bis zum 8. März 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“
  • Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit