phenomenelle

kulturelle

LITFEST homochrom

Kyss Mig (Kiss Me) – Contra

Frida und Mia innig miteinander

Dünne Romanze

Der Film beginnt wie viele dieser klassischen Heterostreifen: Mia und Tim, ein heterosexuelles Paar, hat Sex miteinander, bevor es zu einer Familienfeier aufbricht, über der unausgesprochene Konflikte als unheilvolle Wolke schweben. Mias Vater Lasse feiert seinen sechzigsten Geburtstag und zelebriert außerdem die Verlobung mit seiner neuen Lebensgefährtin Elisabeth. Tim und Mia träumen ebenfalls von einer bürgerlichen Zukunft und geben daher zügig ihre eigenen Heiratspläne bekannt.

Der Umgang der Feiernden untereinander ist zunächst zaghaft; Mia steht einer Erweiterung der Familie skeptisch gegenüber. Weiß ihr Vater, was er da tut? Ihr wachsamer Blick fällt sofort auf Frida, Elisabeths freche und beunruhigende Tochter. Frida, das ist sonnenklar, wird das Beziehungsgefüge empfindlich ins Wanken bringen. Aber wie? Wo wird sie ansetzen? Mia meint, sie mit Tim flirten zu sehen. Will sie ihr, Mia, den Mann ausspannen? Auch Elisabeth, die den Platz ihrer Mutter einnehmen wird, ist ihr nicht ganz geheuer. Und hat Lasse Frida etwa schon als Tochter akzeptiert? Aber dann erkennt Mia ihr eigenes erotisches Interesse an Frida. An diesem Punkt biegt das Drehbuch ab, weg von schwelenden Familienkonflikten und genau beobachteten Charakteren hin zu einem mühsamen Coming out und einer sehr romantischen, aber folgenschweren Liebesgeschichte.

Dramatisch wird es, weil Mia den Traum einer bürgerlichen, hier: heterosexuellen Zukunft nicht aufzugeben bereit ist. Dramatisch auch, weil sich abrupt der Filmfokus von den bisherigen Kontroversen auf die lesbische Liebesgeschichte verschiebt, die zudem schlagartig die Harmonie zwischen Lasse und Elisabeth zu stören scheint. Unter dieser Akzentuierung verlieren die komplex angelegten Figuren leider stetig an Tiefe. Für Fridas lesbisches Privatleben, das ebenfalls komplett aus den Fugen gerät, interessieren die Autorinnen sich nur bruchstückhaft, obwohl gerade hier spannende Fragen aufgeworfen werden: Welche Halbwertzeit hat Liebe? Was macht eine Beziehung stabil?

Immer stärker beschränkt sich das Erzählte auf die neue Liebesgeschichte und blendet schließlich alle anderen dort hineinreichenden Belange aus. Was als ein Mehr gedacht war – die Fokussierung der leidenschaftlichen Liebesgeschichte – gerät letztlich zum Manko: Die (lesbische) Liebe verweist hier auf nichts anderes als auf sich selbst. Schade, denn die nuancenreich geschliffene Ausgangssituation hätte das Potenzial zu einem nachhaltigen Drama mit Unterhaltungswert gehabt. So bleibt immerhin der Unterhaltungswert. Und die Romanze.

Kiss Me / With Every Heartbeat (Kyss Mig)
Schweden 2011
Regie und Buch: Alexandra-Therese Keining
Idee: Alexandra-Therese Keining, Josefine Tengblad
mit Lena Endre, Ruth Vega Fernandez, Liv Mjönes

Trailer:

über Ingeborg Boxhammer
Die Autorin Ingeborg Boxhammer lebt seit ihrem Studium in Bonn. Sie ist eine Filmexpertin und verfasste mit ihrem Buch „Das Begehren im Blick“ eines der umfassendsten Werke über die Lesbenfilmgeschichte. Mit ihrer Homepage www.lesbengeschichte.de leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarkeit von Lesben gerade in früheren Jahren.

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