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Interview mit Dr. Maria Beckermann

Die Augspurg-Heymann-Preisträgerin 2014

Dr. Maria Beckermann, © Rendel FreudeZum sechsten Mal ehrt die LAG Lesben in NRW am 18. Mai 2014 in Bochum eine besonders couragierte lesbische Frau mit dem Augspurg-Heymann-Preis. In diesem Jahr geht es um Gesundheitsfürsorge an Frauen und Lesben. Der Preis wird an Dr. Maria Beckermann, Ärztin und Sexualtherapeutin aus Köln verliehen. Dr. Beckermann hat beruflich und als Mitbegründerin der Frauenberatungsstelle FrauenLeben viel für die Wider­standskraft, Energie und körperliche sowie psychische Gesundheit von Lesben geleistet.

Anstatt Frauen und Lesben zu medikalisieren, trägt sie in besonderem Maß zu Strukturen bei, die sie stärken und fördern – u. a. im Rahmen der Erstellung des Frauengesundheitsberichts 2000 und ihrer Expertise zum Themenfeld Kinderwunsch lesbischer Frauen. Die Verleihung des Augspurg-Heymann-Preises für couragierte Lesben wird in diesem Jahr die Abschlussveranstaltung der Hirschfeld-Tage 2014 sein. phenomenelle hat mit der Preisträgerin gesprochen. Und kluge Antworten auf wichtige Fragen bekommen.

phenomenelle: Weshalb eine spezielle Gesundheitsfürsorge für Lesben?

Dr. Beckermann: Viele Menschen zweifeln an, dass Lesben einer speziellen Gesundheitsversorgung bedürfen. Aber da gibt es zwei Aspekte. Das eine ist die Unsichtbarkeit von Lesben. Damit meine ich, dass Lesben im Medizinbetrieb selten als solche wahrgenommen werden. Es wird immer automatisch von einem heterosexuellen Lebensstil ausgegangen. Es heißt denn: „Wenn Sie möchten, können Sie Ihren Mann zur Befundbesprechung mitbringen“. Dieses Angebot schließt erst mal die lesbische Partnerin aus, und die lesbische Patientin muss dann – häufig in einer vulnerablen Situation – entscheiden, ob sie sich aktiv outet, indem sie sagt: „Kann ich auch meine Frau mitbringen?“ oder ob sie sich versteckt hält, indem sie einfach alleine zur Befundbesprechung geht oder sich in der Unbestimmtheit verbirgt und sagt: „Ich habe meine Freundin mitgebracht“. Diese Heteronormativität bringt uns Lesben oft in eine Zwickmühle. Das müsste nicht sein, wenn auch andere Lebensstile selbstverständlich mitgedacht würden, z.B. „Bringen Sie doch eine Vertrauensperson mit zur Befundbesprechung“, oder eine Angehörige. Dann können wir nämlich davon ausgehen, dass unsere Partnerin auch willkommen ist, was die Situation für uns viel entspannter macht.

Alleinstellungsmerkmale für Vielfalt aufgeben

Wir kennen die Ignoranz bereits als Frauen und haben in der Frauenbewegung dafür gekämpft, dass beispielsweise Stellenanzeigen immer Frauen und Männer ansprechen. Es gibt verschiedene Schreibweisen, die Benachteiligung vermeiden wollen. Aber in den männlich dominierten Institutionen, mit denen ich arbeite, z.B. Stiftung Warentest oder Deutsches Ärzteblatt, wird immer noch unumwunden von den Professoren, den Ärzten, den Autoren gesprochen. Begründet wird das dann damit, dass die männliche Form platzsparender sei.

Als Lesben verlangen wir jetzt, dass nicht nur Männer ihr Alleinstellungsmerkmal aufgeben sollen, sondern auch die Heterosexuellen ihres, und Männer und Frauen die Überzeugung, dass es nur das eine oder das andere gibt. Und das können wir weiterdenken, auch die Einheimischen sollen die MigrantInnen mitdenken, und die Weißen sollen andere Ethnien, und Nicht-Behinderte sollen Behinderte mitdenken. Das verstehen wir unter Vielfalt, und das bedeutet, dass wir alle ein bisschen mehr aufeinander, auf unsere Besonderheiten und Empfindlichkeiten achten. Erst dadurch bilden wir echte soziale Gemeinschaften statt fest verankerter Dominanzstrukturen. Wenn es selbstverständlich geworden ist, dass Frauen in der gynäkologischen Praxis nicht mehr gefragt werden: „Wie verhüten Sie?“ sondern eher: „Benutzen Sie Verhütungsmittel?“, wenn lesbische und andere Lebensformen automatisch mitgedacht werden, dann hat sich das Problem der Unsichtbarkeit erledigt.

Wissenslücken in der Gesundheitsversorgung

Im zweiten Aspekt geht es um das spezifische Fachwissen in der Gesundheitsversorgung von Lesben. Da gibt es große Wissenslücken, z.B. zu sexuell übertragbaren Krankheiten. Welche Erreger sind durch welche sexuellen Praktiken übertragbar? Oder in welcher Hinsicht haben Lesben andere Risiken als heterosexuelle Frauen, und wie erklären sie sich? Und schließlich, welche Behandlungsmethoden stehen Lesben in Deutschland aus ideologischen Gründen nicht zur Verfügung, z.B. reproduktionsmedizinische Behandlungen. Zu diesen Aspekten gibt es immensen Forschungs- und politischen Handlungsbedarf.

phenomenelle: Sie bekennen sich klar und eindeutig zum Feminismus. Haben Ihnen Patientinnen in der Vergangenheit zu verstehen gegeben, dass ihnen die feministische Grundhaltung ihrer Ärztin wichtig ist?

Dr. Beckermann: Als ich 1984 meine erste Praxis übernahm, war es noch eine Ausnahmeerscheinung, dass Frauenärztinnen feministisch waren. In meinem Wartezimmer lag die Courage, und Unser Körper unser Leben war der Renner unter den geklauten Büchern. Meine Patientinnen fanden das offensichtlich ganz toll. Sicher gab es auch welche, die nicht zu einer feministischen Ärztin gehen wollten. Aber mein Terminkalender war so voll belegt, dass ich es mir leisten konnte, Flagge zu zeigen. Ich musste die Patientinnenannahme während der gesamten 25 Praxisjahre begrenzen. Ich war ja Teil der Frauengesundheitsbewegung, habe in Frauenbuchläden und Fraueneinrichtungen Vorträge gehalten, aber auch umgekehrt sehr viel Fachwissen daraus bezogen. Angefangen von Grundlagenwerken wie Unser Körper unser Leben, Frauenkörper neu gesehen, dem Naturheilkundebuch von Rina Nissim, Frauengesundheitszentrum Genf, oder der Zeitschrift Clio vom FFGZ Berlin (Frauengesundheitszentrum), die ich heute noch beziehe, gab es nur dort das Wissen über Verhütung mit dem Diaphragma und der Zervixkappe, Rezepturen über spermizide Gels ohne die schädlichen chemischen Substanzen und kritische Informationen zu Hormonen.

Evidenbasiert statt eminenzbasiert

Traditionelle Frauenärzt_innen hatten damals gar keinen Zugang zu diesem Wissen. Das war auch einer der Gründe, warum ich in den 1990er Jahren über den AKF (Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V.) eine Gruppe feministischer Frauenärztinnen zusammengetrommelt habe, um ein Fachbuch der Frauen-Heilkunde und Geburts-Hilfe zu schreiben und herauszugeben. Es repräsentiert die Sicht von Frauen und beschreibt erstmalig, wie wir in der Gynäkologie mit vergewaltigten und traumatisierten Frauen umzugehen haben, wie schonende Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und dass Screeningprogramme einen hohen Preis haben, nicht im ökonomischen Sinne, sondern gemeint als schädliche Auswirkungen durch Fehlalarm und Überbehandlung. Wir haben damals die evidenzbasierte Medizin in die Frauenheilkunde eingeführt. Das ist eine Bewertungsmethode, die ihre Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien gewinnt und uns unabhängig machte von den traditionellen Rollenklischees, die viele Professoren damals noch hatten (evidenzbasiert statt eminenzbasiert). Und last noch least haben wir – mit Helga Seyler als Koordinatorin – auch ein Kapitel geschrieben über sexuelle Vielfalt, über Homophobie, über Lesben, über Transsexuelle, über Sadomasochismus etc. Letztlich waren 75 Autorinnen aus verschiedenen Berufsfeldern an dem dreibändigen Werk beteiligt, welches 2004 im Schwabe-Verlag Basel erschien: Frauen-Heilkunde und Geburts-Hilfe, Hrsg. Beckermann, Maria J., Perl, Friederike M.

phenomenelle: Als Ärztin, Expertin für Frauengesundheit und auch im Rahmen Ihres Vereinsengagements für FrauenLeben e.V. verhindern Sie Krankheiten und Beschwerden lieber, als sie zu medikalisieren. Welche Erfolge sprechen dafür?

Dr. Beckermann: Ich bin durch die Frauenbewegung geprägt. Wir haben Ende der 1970er Jahre als Projektgruppe die psychosoziale Situation von Frauen in Köln analysiert und in der Folge die Frauenberatungsstelle „FrauenLeben e.V.“ gegründet, die heute ein fester Bestandteil der professionellen psychosozialen Versorgung von Frauen in Köln ist. Mir war also von Anfang an klar, wie eng Krankheiten mit psychosozialen Bedingungen zusammenhängen und umgekehrt, Rückwirkungen auf sie haben. Deswegen war es mir wichtig, Frauen darin zu unterstützen, ihre eigenen Bedürfnisse wahr und ernst zu nehmen, und sich selbst dafür einzusetzen, dass sie befriedigt werden. Krankheiten fordern die Selbstfürsorge in besonderem Maße, und ich habe Frauen darin bestärkt. Denn vielen Frauen ist es keine Selbstverständlichkeit, dass sie das Recht haben, sich für die Befriedigung der eigenen Grundbedürfnisse einzusetzen. Ich habe ihnen gesagt, dass sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, gut für sich selbst zu sorgen. Denn diese Aufgabe können sie an niemanden delegieren, auch nicht an die Ärztin. Umgekehrt mobilisiert der Ressourcen-orientierte Ansatz Selbstheilungskräfte, die manche medikamentöse Behandlungen überflüssig machen.

Kritischer Blick auf Interessengruppen

Dass ich den Medikalisierungswellen, die durch das Land gingen und immer wieder gehen, nicht zum Opfer gefallen bin, verdanke ich auch den Kolleginnen im AKF. Wir haben uns all die Jahre hindurch bestärkt in unserem kritischen Blick gegenüber allen möglichen Interessensgruppen, die aus dem Gesundheitswesen eine Gesundheitswirtschaft gemacht haben. Nur mit ihrer Unterstützung konnte ich mich auch öffentlich als Kritikerin unnötiger Hormonbehandlungen exponieren. Ich konnte die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatik in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) bei der Entwicklung der S3-Leitlinie zur Hormontherapie in und nach den Wechseljahren vertreten. Dadurch konnte ich auch strukturell einer Medikalisierung entgegenwirken.

Foto: © Rendel Freude

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