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Hirschfeld-Tage 2014: „… wegen Vergehen nach § 175 verhaftet“

Frank Sparing HFT 2014, Vortrag 28.4.2014, © Dietrich Dettmann

Vortrag am Beispiel Düsseldorf zur der NS-Zeit

Im Rahmen der Hirschfeld-Tage NRW beleuchtete Historiker Frank Sparing am 28.4. im Düsseldorfer „Zakk“ in einem Vortrag die Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Zeit am Beispiel Düsseldorfs. Mit über 400 durch die Gestapo festgenommenen Männern gab es hier die meisten aufgrund des Homosexuellen-Paragraphen § 175 verhafteten Personen. Daneben erlangte auch das Düsseldorfer Gefängniskrankenhaus eine zentrale Bedeutung, da dort Zwangskastrationen an Häftlingen aus der ganzen Region vorgenommen wurden. In der anschließenden Fragerunde wurde auch über die Errichtung eines Mahnmals für verfolgte Homosexuelle in Düsseldorf diskutiert.

Rund 50 Zuhörer lauschten an diesem Abend dem Vortrag des Historikers Frank Sparing. Geboren 1963, studierte er Geschichte und Romanistik und ist Autor von mehreren Veröffentlichungen zum Thema Nationalsozialismus. In seinem Vortrag unter dem Titel  “Die Ausgrenzung und Verfolgung der Homosexue len im nationalsozialistischen Düsseldorf“ berichtete er zunächst über die bisherige Forschung zu diesem Thema in der Landeshauptstadt. Die Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, Veranstalter des Informationsabends, hatte Ende 1996 ein umfassendes Projekt zur Verfolgung der Düsseldorfer männlichen Homosexuellen im Nationalsozialismus durchgeführt. Die Lokalstudien ergaben, das Düsseldorf in gewisser Hinsicht eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Homosexuellen spielte. In keiner anderen westdeutschen Stadt wurden derart viele Männer während der von der Gestapo durchgeführten Homosexuellen-Razzien festgenommen.

Zunahme der Verfolgung ab Mitte der 1930er Jahre

Die Radikalisierung der Verfolgung setzte dabei keineswegs unvermittelt mit der Machtübernahme 1933 ein. Zunächst richteten sich die Maßnahmen in erster Linie gegen die homosexuelle Subkultur, sowie die starke Bürgerrechtsbewegung und ihre Presse. Erst Mitte der 1930er Jahre sollte dann der breite Zugriff auf Homosexuelle einsetzen, die nun nicht mehr nur als Kriminelle behandelt, sondern zu Staatsfeinden erklärt und entsprechend hart durch Kriminalpolizei und Gestapo verfolgt wurden. Die Opfer mussten damit rechnen, nicht nur in Gefängnisse und Zuchthäuser, sondern auch in Justizstraflager, Konzentrationslager oder Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen zu werden. Darüber hinaus wurden sie Zwangskastrationen unterworfen, die zentral für West- und Nordwestdeutschland im Düsseldorfer Gefängniskrankenhaus Ulmer Höh´durchgeführt wurden.

Nach der Verschärfung des § 175 im September 1935 wurden alle homosexuellen Handlungen kriminalisiert, nicht nur „Beischlaf ähnliche Handlungen“. In einigen Fällen genügten ein Blickaustausch oder ein Gespräch oder gar Denunziation durch einen Dritten. Das Klima veränderte sich schnell seit der Machtergreifung 1933. Der „Bund der Menschenrechte“, dem sich viele Homosexuelle anschlossen, wurde verboten, Publikationen und Zeitungen („Schund- und Schmutzschriften“) verboten, und es erfolgte die Anweisung, ‚reichs’weit Szenelokale zu schließen, darunter einige rund um den Düsseldorffer Hauptbahnhof und der heutigen Altstadt.

Verhaftungen folgten einem Muster

HFT 2014, Vortrag NS-Zeit Düsseldorf 28.4.2014, © Dietrich DettmannDie darauf folgende Verhaftungswelle folgte dabei nach einem ganz bestimmten Muster, insbesondere in den öffentlichen „Bedürfnisanstalten“ kam es zu Verhaftungen. Nicht selten spielten vorher verhaftete Stricherjungen, angestiftet durch die Gestapo, die Lockvögel oder Spitzel. In der Haft wurden die Geständnisse, homosexuell zu sein, oft erpresst und mit schwerer Folter erzwungen.

In vielen Akten finden sich Hinweise auf massive Misshandlungen der Düsseldorfer Gefangenen. In einem Zeitungsbericht ist zu entnehmen, das „Sittlichkeitsverbrechen“, zu denen auch homosexuelle Handlungen gezählt wurden, „bei einzelnen Kammern …60 Prozent aller zu verhandelnden Fälle“ ausmachten. In homosexuellen Beziehungen lebenden Männer wurden besonders hart bestraft, weil „der Vorsatz der Angeklagten von vornherein darauf ausgerichtet war, ständig Unzucht zu treiben“. Nach § 175 Verurteilte wurden auch in Konzentrationslager verschleppt. Hier wurden sie oft in besonders schweren und gefährlichen Arbeitskommandos eingesetzt und besonders gekennzeichnet. In vielen Fällen kam es jedoch in der „Schutzhaft“ zu Zwangskastrationen, denen sich die Angeklagten unterzogen, um mildere Urteile zu erlangen und weiteren Qualen aus dem Weg zu gehen. Gerade in Düsseldorf lässt sich eine hohe Zahl von Fällen feststellen, in denen Homosexuelle ihrer Einweisung in ein KZ dadurch entgingen, in dem sie „freiwillig“ ihre Kastration beantragten.

JVA-Kapelle geeigneter Ort für Gedenkstätte

Die Zwangskastrationen wurden im Gefängniskrankenhaus Düsseldorf Derendorf durchgeführt. Das Gefängnis, das Ulmer Höh’ genannt wurde, gehörte seit 1933 zum Strafvollzugsamt Düsseldorf und wurde 2012 geschlossen. In Gedenken an den geschichtsträchtigen Ort soll auf dem Neubaugebiet die ehemalige JVA-Kapelle stehenbleiben und möglicherweise Raum für eine Gedenkstätte oder Mahnmal bieten. In Düsseldorf gibt bisher kein Denkmal für die Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Daher wurde in der abschießenden Diskussion und Fragestunde von Vertretern aus der Communtiy vorgeschlagen, auf der Ulmer Höh´ tätig zu werden. Frank Sparing hält dies für einen geeigneten Ort und ist ist überzeugt:

Hier muss man tätig werden, den Ort einfach verschwinden zu lassen wäre eine Katastrophe.

Foto: Frank Sparing beim Vortrag, © Dietrich Dettmann

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