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„Her Story“ – Geniale Webserie: Interview mit Jen Richards

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Schauspielerin und Trans*Aktivistin

Im zweiten Teil des Interviews zur Webserie „Her Story“ hatte phenomenelle Autorin Larissa Gelegenheit mit Co-Autorin, Schauspielerin („Violet“) und Aktivistin Jen Richards zu sprechen.
Einigen dürfte Richards bereits als Vertraute von Caitlyn Jenner in der Reality Show I am Cait bekannt sein. Daneben ist sie vor allem Aktivistin für Trans*Rechte und engagiert sich in unterschiedlichen Projekten. Mit Her Story wollte sie zusammen mit Co-Autorin Laura Zak die komplexe menschliche Seite von Trans*Charakteren darstellen, denn allzu oft sind die wenigen Rollen begrenzt auf Prostituierte, MörderInnen, Sexfantasien oder „herzergreifende“ Tragödien.

Persönliche Geschichten und unerwartete Reaktionen

Gibt es etwas, das du rückblickend ändern würdest?

Jen: Naja, ich bin die Art Autorin, für die sich ein Projekt nie vollständig fertig anfühlt. Ich würde jeden Dialog und jede einzelne Szene anders schreiben. Nicht auf Grund der Reaktionen aus der Community, sondern weil ich weiß, es geht noch besser.

Wenn ich versuche, es etwas allgemeiner zu fassen und wegen der Reaktionen: Nein, es gibt Nichts was ich ändern würde. Ich bin sehr erstaunt, wie positiv die Allgemeinheit reagiert hat. Und wie viel Liebe zurückkam. Wie sie jedes Detail aufgenommen haben, dessen Wichtigkeit ich persönlich nicht vorsehen konnte. Sie haben sich wirklich voll in die Show verbissen – auf eine gute Art (lacht).

Kannst du uns ein Beispiel geben?

Jen: Was für mich am meisten heraussticht, weil wir das bei jeder einzelnen Vorstellung hatten. Wenn eine Transfrau im Publikum war, wurde die Interviewszene in Episode 2 hervorgehoben. Im Interview erzählt Violet (Jen Richards) Allie (Laura Zak), dass sie sich ihrer großen Hände über-bewusst ist, und sie sorgt sich, dass Andere ihre Stimme beurteilen.
Das ist eine Zeile, die ich nicht für so wichtig gehalten hätte. Sie entspricht zwar meiner Erfahrung und ich habe sie geschrieben, aber es war keine große Sache für mich. Aber bis jetzt hat jede Transferau als Erstes darüber gesprochen – wie stark es sie angesprochen und berührt hat. Sie fühlen sich damit gesehen und verstanden.

Wie nah an der Realität und euren eigenen Erfahrungen ist Her Story?

Jen: Ich denke ziemlich nah. Alle drei Hauptfiguren basieren lose auf den drei DarstellerInnen, die sie spielen. Alle Geschichten in der Show sind aus dem echten Leben. Wenn nicht aus meinem, Lauras oder Angelicas, dann von jemandem den wir kennen.

Ich habe auch den ersten Entwurf des Skripts geschrieben. Damit ist ein bisschen was von mir in allen drei Charakteren. Es gibt die ein oder andere Zeile von Allie oder Paige, die ich mir selbst schon gedacht oder so gesagt, getan habe. Die Drei haben ein bisschen was von uns allen.
Beispielsweise der Teil von Violet, der unter anderem deswegen mit Männern zusammen ist, weil es ihr Frausein bestätigt, ist direkt aus meinem Leben. Auch ihre Angst, sich weniger feminin zu führen, beim Zusammensein mit anderen CIS Frauen.

Her Story co-writer/actor Jen Richards on set. Photo Credit: Tamea A. photobytamea.com

Co-writer/actor Jen Richards on set. Photo Credit: Tamea A. photobytamea.com

Du hast erwähnt, dass das Feedback zu Her Story unglaublich positiv war. Was hat dich noch überrascht?

Jen: Einfach die Reichweite. Als wir angefangen haben zu schreiben, war es ein kleines Projekt in Chicago, mit einem Budget von 15.000 Dollar. Wir hatten keine professionellen SchauspielerInnen, sondern es waren einfach Freunde mit Kameras und so weiter. Ich war mehrmals überrascht. Als Kate (Katherine) Fisher Interesse gezeigt hat und wir haben einfach weitergemacht. Und diese unglaublich talentierten Leute haben alle ihre Honorare verringert und ihre Terminplanung angepasst – nur für dieses Projekt. So viel Unterstützung und Engagement bei jedem Schritt des Weges. Her Story bewegt die Menschen von Anfang an.

Am Tag als die Serie veröffentlicht wurde, dachte ich, wir bekommen vielleicht so 300-400 Zuschauer. Gehofft hatte ich auf vielleicht 1.000 für die erste Folge. Stattdessen hatten wir in weniger als 24 Stunden mehr als 12,000! Und die Nachrichten, die wir bekamen!

Kannst du ein Beispiel geben?

Jen: Eine die für mich heraussticht, ist von einer behinderten farbigen Transfrau. Sie schrieb mir diese lange, lange Email, wie viel ihr die Serie bedeutet. Wie sie von ihren Eltern rausgeworfen wurde und obdachlos war, Schwierigkeiten hatte Arbeit zu finden. Wie sie zu glauben begann, dass sie eine Missgeburt war. Mit Her Story fühlte sie sich schön, und dass sie einen Platz in der Welt hatte. Es war bestärkend für sie. Diese Tiefe an Reaktionen von anderen, dass es Ihnen so viel bedeutet – das hätte ich nicht gedacht.

Es ruft ein Gefühl der Demut bevor zu erkennen, man ist Teil dieses „magischen Moments“ und hat so eine große Wirkung.

Umgang mit Trans*Menschen in Medien und Alltag

Her Story berührt sehr viele Themen und Aspekte trotz seiner Kürze. Ist dir etwas besonders wichtig oder wo siehst du besonderen Handlungsbedarf?

Jen: Ich kann tatsächlich einen Punkt herausgreifen. Der wichtigste Satz der Serie fällt für mich in der letzten Episode. Es ist ein komischer Satz, der scheinbar aus dem Nichts kommt. Paige (Angelica Ross) erzählt James (Christian Ochoa), dass sie trans ist. Er antwortet, dass er spielsüchtig ist. Einige der Zuschauer lachen und denken sich sicherlich, das ist ja eine merkwürdige Antwort. Doch insbesondere Transfrauen wissen, wieso diese Textzeile so wichtig ist: Bis jetzt gab es nur zwei mögliche Erwiderungen auf dieses „outing“ als trans. Entweder Spott oder Gewalt. Das haben wir immer und immer wieder gesehen in Filmen, Fernsehserien oder Sitcoms. Der heterosexuelle männliche Protagonist macht Witze darüber, etwa in Ace Ventura, reagiert mit Ekel darauf, wie in The Crying Game oder mit Gewalt, was im echten Leben die häufigste Reaktion ist. Indem James seine Sucht offenbart, zeigen eine neue Antwort. Paige fragt sich, was er damit sagen will. Er antwortet, er will nur verstehen, wann ein guter Moment ist, das zu offenbaren. Statt also zu urteilen und zu verdammen, versucht er nachzuempfinden.

Das habe ich in meinem oder im Leben meiner Freunde noch nicht gesehen. Aber als Künstlerin fand ich es wichtig, an bestimmten Punkten etwas Erstrebenswertes in der Geschichte zu schaffen. Zu zeigen, dass es andere mögliche Antworten gibt und ein Beispiel zu geben. Das war jetzt eine sehr lange Antwort auf deine Frage (lacht).

Das ist großartig. Andere Shows haben ebenfalls Trans*Charaktere. Wie wichtig findest Du es, sie als solche hevorzuheben oder dies nicht zu tun?

Jen: Ich sehe das aus zwei Perspektiven: einerseits ist es enorm wichtig, Trans*Charaktere zu haben. Das ermöglicht es Zuschauer*innen, sich mit diesem Charakter zu identifizieren. Es verbessert das Verständnis für Trans*Menschen und deren Probleme im Alltag. So wie zum Beispiel

Laverne Cox in Orange is the New Black, das ist ein riesen Schritt.

Gleichzeitig ist es genauso wichtig Trans*Menschen in den Medien zu zeigen, ohne dass es  explizit um ihr Trans*sein geht. Letzten Herbst habe ich in einem Spielfilm die beste Freundin der weiblichen Hauptfigur gespielt. Der Regisseur hatte den Trailer für Her Story gesehen und wollte mich für diese Rolle haben. Ich las das Skript. Auf keiner Seite wurde erwähnt, dass die Figur trans* ist. Dann kommt eine Szene im Waschraum. Die andere Figur starrt mich an und fragt, ob sie eine Frage stellen kann. Ich dachte, jetzt geht’s wieder los. Stattdessen fragt sie mich, wo ich mein Kleid gekauft habe! Ich war so überrascht!

Als ich den Direktor fragte, danach fragte, antwortete er: „Irgendwie habe ich die Rolle immer als trans* gesehen. Beim Schreiben der Geschichte wurde mir bewusst, es muss nicht erwähnt werden. Sie wohnt schon lange in der selben Stadt, hat einen Freund, ist Kellnerin. Es ist einfach kein Thema mehr.“ Das fand ich großartig. Es zeigt neue Möglichkeiten für Trans*Menschen. Es schadet auch nicht, es nicht zu wissen. Spätestens wenn man mich googelt, ist es klar (lacht).
Ich finde beide Perspektiven wichtig.

Das größte Problem scheint das Schubladendenken zu sein. Sich selbst und anderen gegenüber. Sogar seitens der LGBTI* Community. Woher kommt das?

Plakat "Her Story" Webserie

Jen: Wir sind alle Menschen. Nur weil wir LGBTI* sind, gibt uns das nicht mehr Selbst-Erkenntnis oder Unvoreingenommenheit. Es gibt so viele Aspekte zum Thema Geschlecht im Allgemeinen. Wir waren bisher nicht sehr gut darin, darüber zu sprechen. Die Bewegung zur Rechte Homosexueller wurde zu einem Thema über sexuelle Orientierung: Wen du liebst. Mit wem du zusammen bist, statt darüber, wer du bist. Damit waren Trans*Menschen außen vor. Es ist eine sehr effektive Strategie gewesen, der ich applaudiere. Wer wird schon gegen Liebe argumentieren? Für mich persönlich geht es aber nicht darum, wen ich liebe. Es geht darum, wer ich bin. Und wenn wir die verschiedenen Formen der Diskriminierung anschauen, geht es um unser Geschlecht. Das wird kontrolliert und genutzt. Wir überschreiten das vorherrschende binäre System von männlich und weiblich und damit haben die meisten ein Problem. Auch bei Schwulen und Lesben ist es oft die Frage nach der Rolle, also „bist du der weibliche oder männliche Part in einer Beziehung“. Skepsis gegenüber Femmes genauso wie Butches oder Bisexuellen. In den USA haben wir das Thema verloren durch den Fokus auf das Recht der gleichgeschlechtlichen Ehen. Trans*Menschen rücken die Fragen des Geschlechts fast automatisch ins Rampenlicht- und konfrontieren damit, weil wir nicht darum herum kommen.

Spoiler: Zukunft von Her Story und was die Trans*Community noch braucht

Wie sieht es mit der Zukunft von Her Story aus?

Jen: Wir freuen uns über jeden der Interesse hat und natürlich wäre eine Serie in voller Länge toll. Wir arbeiten aktuell daran. Was wir bisher gezeigt haben, ist nur der Anfang. Die Geschichten gehen so viel weiter. Es fehlen noch einige Charaktere. Ein kleiner Spoiler den ich verraten kann: es wird eine neue Figur geben, eine junge farbige Trans*Frau in Episode 1. Paige wird sie als Mentorin unterstützen. Damit wird auch Paiges Vergangenheit angesprochen. Bis jetzt wissen wir nur, dass sie mit 14 von den Eltern rausgeworfen wurde. Jetzt ist sie 35 und erfolgreiche Anwältin.

Trans*Männer werden eine größere Rolle in der TV-Version spielen. Das wollte ich von Anfang an, sie sind ein großer Teil meines Lebens, aber für die Internetvariante mussten wir uns beschränken. Wir werden in alle Themen tiefer eintauchen und ihnen mehr Raum geben. Ich bin sehr, sehr aufgeregt und glaube von Herzen dass es irgendwo einen Sender gibt, der versteht was wir machen und das Potenzial sieht.

Was braucht die Trans*Gemeinschaft aktuell? Gibt es ein spezifisches Thema, bei dem du dich fragst, wieso nicht mehr getan wird?

Jen: Meine Standardantwort dazu lautet: mehr. Wir brauchen mehr Stimmen, mehr Perspektiven, mehr Menschen, die mitbestimmen, in den Medien mehr Trans*Schauspieler*innen und Trans*Rollen, genauso wie mehr Trans*Autor*innen, Regisseur*innen, mehr Trans*Menschen in LGBTI* Organisationen. In der gesamten Struktur braucht es mehr Trans*Repräsentation. Denn aktuell ist der Druck, der auf den wenigen Sichtbaren liegt, sehr, sehr hoch. JedeR will sich repräsentiert sehen. Das kann man an Caitlyn Jenner sehr gut sehen. Ihr ganzes Leben war sie äußerlich ein Mann. Innerhalb kürzester Zeit nach der Geschlechtsanpassung wird von ihr erwartet, dass sie alle Themen und Punkte der Trans*Community versteht und ordentlich repräsentiert. Das ist nicht fair.

Wer selbst keine Stimme sein kann, kann auch mit finanzieller Unterstützung für Trans*Projekte helfen. Hier gibt es noch viel Bedarf und jede Menge Möglichkeiten. Es gibt eines, das ich persönlich gerne nenne, das „Trans Justice Funding Project“. Es unterstützt unterschiedlich große Projekte und eben auch sehr kleine.

Gibt es noch etwas was du anfügen möchtest?

Jen: Ich bereite ja nie etwas vor, aber gib‘ mir eine Bühne und eine Frage und ich antworte eineinhalb Stunden lang (lacht)! Das Thema Sucht ist ein Großes in der Community, genauso wie Sexarbeit. Diese Faktoren werden oft nicht mit einbezogen oder tief genug untersucht. Die Verwundbarkeit ein Trans*Mensch fühlt, weil er/sie vielleicht in einer Beziehung ist. Dort misshandelt wird und aus Angst nicht zur Polizei geht. Das kommt sehr häufig vor.

Das Thema Hautfarbe. Zu selten sieht man Freundschaften in denen auch darüber gesprochen wird. Häufig werden in Filmen aus Hollywood zwar Rollen mit anderen Nationalitäten oder Menschen mit verschiedenen Hautfarben besetzt, doch darüber hinaus wird es ignoriert. Ist ja schon ein Schritt vorwärts. Aber die entsprechende Kommunikation wie zwischen Paige und Violet fehlt dazu meistens. Ich bin stolz, dass dieser Aspekt bei nicht einfach wegfällt, nur weil trans* auch ein Thema ist. Es gibt Vieles, was ich noch anführen könnte und über das wir noch reden könnten!

An welchen anderen Projekten arbeitest du aktuell noch?

Jen: Wie immer an einigen! Ein großes Projekt, an dem ich derzeit arbeite ist der „MAC AIDS Funds“ für eine Dokuserie. Darauf bin ich sehr stolz. MAC wird eine Kosmetiklinie auf den Markt bringen und alle Einnahmen davon gehen an einen AIDS Funds. Ziel ist es, damit eine Million Dollar an die Community geben zu können. Die Serie soll ein Blick in unser tatsächliches Leben sein. Der Regisseur ist auch trans* und wir haben zusammen freie Hand was den kreativen Teil angeht, was sehr selten ist bei solchen Projekten.

Zudem arbeite ich noch an einem Skript für einen Lang-Spielfilm. Das hat es gerade in die nächste Runde beim Outfest-Wettbewerb geschafft. Es handelt von drei Trans*Freunden und ihren diversen Beziehungen.

Auch als Schauspielerin bin ich aktiv und bei verschiedenen Projekten involviert. Jede Menge ist gerade los! Ich habe bestimmt was vergessen…

Vielen Dank für das interessante Interview und weiterhin alles Gute!

Link zur Serie und allen Episoden:
www.herstoryshow.com

Trans Justice Funding Project
http://www.transjusticefundingproject.org/

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