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Anne Will fragt Homogegnerinnen hart aber fair

Anne Will 12.06.2013, © NDR/Wolfgang Borrs

Die Moderatorin liefert Steilpässe, Kauch köpft ein

Als ich gestern Morgen erfuhr, dass auch Anne Will sich des Wochenthemas „Gleiche Rechte für Homosexuelle – Ist die Ehe nicht mehr heilig“ annimmt, befürchtete ich wenig Gutes. 2 Tage nach dem Waldschlösschen-Appell war neben der Ikone der CDU-Rechtskonservativen Erika Steinbach auch eine selbsternannte Familienschützerin – ebenfalls CDU-Mitglied – auf den beigen Talksesseln eingeladen. Also genau die Personen, um die es im Appell geht. Beide Damen sind schon häufiger durch diffamierende Äußerungen unangenehm aufgefallen.

Ob Anne Will, die zwar nicht verpartnert, aber seit langem mit Miriam Meckel liiert ist, die Coolness besitzen würde, die beiden Damen zu stellen in ihrer rückwärtsgewandten Gedankenwelt? Nicht mehr, aber auch nicht weniger, erwarte ich von Journalist_innen. Treffsicher fragen, das Gespräch gut leiten und nachhaken. Zu häufig ermöglichten in den letzten Monaten homophobe Untertöne von Moderatoren, Hardlinern ihre kruden Ideen gegen Gleichstellung in epischer Länge und vor allem ohne nachhaltigen Widerspruch im deutschen TV auszubreiten. Als medialer Tiefpunkt sei hier nur die Hart-aber-Fair-Sendung vom 3. Dezember 2012 genannt.

Steinbach steht mit ihren Argumenten im Abseits

Anne Will mit Erika Steinbach 12.6.2013, © NDR/Wolfgang BorrsWill begann scheinbar harmlos, fragte Steinbach, warum sie dafür sei, dass der Staat weiterhin homosexuelle Paare schlechter behandele. Die CDU-Frau durfte ihre Abneigung gegen das vom Bundesverfassungsgericht letzte Woche eingeforderte Ehegattensplitting noch einmal inhaltlich begründen. Und versuchte sogar, sich als Vorkämpferin für Menschenrechte zu positionieren. Russland ginge natürlich gar nicht. Und auch nicht, dass der polnische Staatspräsident Walesa Homosexuelle im Parlament hinter eine Wand verbannen wolle. Sie sei aber dagegen, dass der Staat homosexuelle Paare finanziell fördere. Nur in Ehe und Familie liege die Zukunft. Die Lebenspartnerschaft sei aber eben etwas anderes. Mehr Argumente hatte sie auch in den verbleibenden 74 Minuten nicht vorzutragen. Dass sie gleich zu Beginn abermals ihre tiefsitzende Abneigung gegen Polen und Russland zu Gehör geben musste, sei nur am Rande erwähnt. Es hätte auch andere aktuelle Beispiele wie Frankreich gegeben. Aber geschenkt.

Ein ernstes Spiel mit gut verteilten Rollen

Gleich nach Steinbach ließ Will geschickt FDP-MdB Kauch begründen, warum eben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts genau richtig sei. Der punktete sofort mit der Feststellung, wer gleiche Pflichten habe, müsse auch gleich Rechte bekommen. Und so ging’s dann munter bis zum Schluss weiter. Will lieferte die Steilpässe, Kauch versenkte die Bälle ein ums andere Mal im Tor. Auch Familienschützerin von Beverfoerde entlockte Will alberne Aussagen wie: „Ich finde das Urteil doof.“ Aha, schlagendes Argument. Als Gegenpart zur sich selbst demontierenden und durch beharrliches Nachfragen der Moderatorin in die Ecke gedrängten Familienschutz-Lobbyistin war offensichtlich der schwule Theologe und Männer-Magazin Chefredakteur David Berger geladen. Er sah sich den Angriffen der Lobby-Dame ausgesetzt, konterte sie aber geschickt aus. Da sie ihn falsch zitierte.

Ein ums andere Mal fielen Steinbach und von Beverfoerde durch unpassende Wortwahl und Vergleiche aus der Reihe. Ob es das für den Staat „unpraktische“ Ehegattensplitting war, das Märchen vom rein biologisch zu betrachtenden Kinderkriegen oder selbst-produzierte versus adoptierte Kinder. Am Ende blieb übrig: Auf der einen Seite standen die mit dem konservativen altbackenen Begriff von Familie und auf der anderen die mit dem modernen, der die Realitäten des Hier und Jetzt anerkennt. Deutlich wurde, wer dabei die wahrlich zukunftsweisenden Aspekte benannte.

Anne Will mit Michael Kauch 12.5.2013, Foto: © NDR/Wolfgang BorrsDie Moderatorin hielt das Heft gut in der Hand, intervenierte, wo es nötig war und lehnte sich soweit aus dem Fenster mit ihrer Sympathie wie es für eine seriöse Moderatorin überhaupt möglich ist. Denn Wills Aufgabe ist zu moderieren und aus allen Gesprächsteilnehmern pointiert ihre Meinung zu Tage zu fördern. Wer hier beklagt, dass es zu oft um bürgerliche Normalität ging, verpasst, dass das Thema Eheöffnung an sich ein zutiefst bürgerliches ist. Und wer an dieser Stelle bürgerliche Rechte erkämpfen will, muss diese auch mit eben solchen Begrifflichkeiten erläutern, um die mehrheitlich heterosexuellen Zuschauer_innen mitzunehmen. Derzeit geht es eben um die letzten bürgerlichen Rechte. Das kann man konservativ und rückwärtsgewandt finden. Dann befinden wir uns aber in einer anderen Diskussion.

Altbackene Frauen gegen smarte Männer?

Einen schalen Beigeschmack hinterlässt dennoch die Wahl der Gäste. Auf der Pro-Seite saßen 2 Schwule und ein eloquenter Jugendlicher, auf der Contra-Seite 2 altbacken wirkende Polit-Frauen. Welches Bild wird so erzeugt? Na klar, hier sitzen die smarten Jungs, dort die ewig gestrigen Damen. Als Alternative zu Frau Steinbach hätte sich etwa Alexander Dobrindt angeboten. Denn die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen ist allein wegen ihres Alters bereits Teil der politischen Geschichte und nicht der Zukunft. Dobrindt hingegen, kürzlich erst 43 geworden, wird in den kommenden Jahren vermutlich die Geschicke deutscher Politik mitbestimmen. Er verdreht aber die tatsächliche Pro-Stimmung für die Menschenrechte von Homosexuellen auch unter CDU-Mitgliedern ins Gegenteil. Jüngst sprach er erst davon, er vertrete die schweigende Mehrheit gegenüber einer schrillen Minderheit.

Warum die smarte Seite einmal mehr nur mit Schwulen aufwartete, kann ich mir höchstens mit redaktioneller Angst erklären. Wollte man neben die offen lesbisch lebende Moderatorin keine weitere Lesbe setzen? Aus Angst, dies könne als lesbischer Lobbyismus ausgelegt werden? Keine Angst, liebe Redaktion, Lesben sind dafür zu unsichtbar. Und mit dem gestrigen Abend haben Sie das zusätzlich bestätigt.

Mein Fazit der Sendung

Frau Steinbach erzählte gegen Ende des Talks, sie sei ein schüchternes Kind gewesen. Sie wäre besser schüchtern geblieben. Und ja, Anne Will besaß die Coolness und fand das richtige Maß zwischen journalistisch geforderter Objektivität und beharrlichem Aufspüren der argumentativen Schwachpunkte in der Homo-Gegner_innen Fraktion. Danke, Frau Will. Dieser Talk sollte ihren Kolleg_innen ein Lehrstück sein.

Fotos: © NDR/Wolfgang Borrs

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