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Wien wird lesbischer: Geschichte meets Pride

Lesbische Journalistinnen im Wiener Prater, © Reiner Riedler

© Reiner Riedler

Eine Stadt macht Lesben sichtbar

Vier Tage lang durfte Gastautorin Larissa Wiener Luft schnuppern, pünktlich zur Christopher Street Day Parade der Stadt, und es hat sich bewiesen: LGBTI sind in Wien wirklich willkommen – und das gilt seit kurzem ganz besonders für lesbische Frauen.

Wien Maria-Theresien-Platz, naturhistorisches Museum, © Larissa

naturhistorisches Museum, © Larissa

Die Hauptstadt Österreichs präsentiert sich vielfältig und nicht erst seit Conchita Wursts Erfolg beim Eurovision Song Contest homo-freundlich. So ist für jeden Geschmack etwas dabei und das Programm wird stetig ausgebaut. Optimal also für einen Wochenendausflug ins Nachbarland. Mit ihren vielen beeindruckenden Bauten und geschichtsträchtigen Straßen und Gassen, schafft Wien es heute eine schöne, moderne Stadt zu sein und lädt Besucher_innen jeden Alters und Orientierung ein, sie neu zu erleben – und für das weibliche Auge gibt es da viel zu entdecken.

Lesbische Geschichte und Gesetze

Strahlende Lesben und Freunde auf der Vienna Pride Parade, © Maira Reis

Vienna Pride Parade 2015, © Maira Reis

Stadtführerin Ines Rieder von QWien führt uns durch die geschichtsträchtigen Gassen; sie ist als Historikerin und Autorin spezialisiert auf die lesbische Seite der Stadt. So kann sie an vielen berühmten und weniger berühmten Ecken Anekdoten erzählen, die einst nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben wurden. Noch bis 1971 war Homosexualität strafbar, was im Gegensatz zu Deutschland auch für Lesben galt. Durch diese Verfolgung verheimlichten oder leugneten viele ihre sexuelle Orientierung, was es schwieriger macht, Aufzeichnungen zu finden. Weiter zurück in der Geschichte: beim Denkmal von Kaiserin Maria Theresia (1717–1780), lernen wir nicht nur, dass ihr Vater die Gesetze änderte, um ihr den Thron zu ermöglichen, sondern auch, dass eines ihrer 16 Kinder, nämlich Maria Christina, eine gut dokumentierte Affäre mit ihrer Schwägerin Isabella von Parma hatte.

In den 20ern verwendeten lesbische Kreise eine Zeichensprache, die ihren Höhepunkt bei den Salzburger Festspielen 1927 fand, kreiiert von den Ballettstars Tilly Losch und Hedy Pfundmayr (man munkelt die beiden waren ein Paar) namens „Tanz der Hände“. 1930 kam „Mädchen in Uniform“ erstmals ans Theater – und nicht nur am bekannten Wiener Volkstheater gab es viele lesbische Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen. Schauspielerin Dorothea Neff versteckte während des II. Weltkriegs ihre jüdische Freundin und Geliebte Lili Wolff über drei Jahre erfolgreich vor der Verfolgung in ihrer Wohnung. Die erfolgreiche, lesbische Opernsängerin Lotte Lehmann widersetzte sich dem Regime und erhielt dafür Auftrittsverbot.

Vienna Pride Parade, Gruppe "Bild ohne Vorurteile", © Larissa

Vienna Pride Parade 2015, © Larissa

Eine Überraschung: das Wort Homosexualität kommt ebenso aus Österreich wie das Antonym Heterosexualität. Es stammt nämlich vom österreichisch-ungarischer Schriftsteller Karl Maria Kertbeny und wurde vor allem durch sein Werk Psychopathia sexualiäs ab 1886 verbreitet. Die österreichische Gesetzgebung war hingegen zurückhaltend: Erst seit 2010 können gleichgeschlechtliche Paare eine eingetragene Partnerschaft eingehen, seit 2013 das Stiefkind ihre_r Partner_in adoptieren. Gesetzlich erlaubt dürfen sich lesbische Paaren erst seit 2014 künstlich befruchten lassen. Dem voran ging 1983 die krankenkassengestützte Geschlechtsangleichung für Transsexuelle, ähnlich lang wird Homosexualität bei Flüchtlingen als Verfolgungsgrund anerkannt.

Wien setzt aktiv Zeichen und handelt gezielt

Schwule Ampelmännchen in Wien, © Maira Reis

© Maira Reis

Wien ist mittlerweile sogar Vorreiterin in einigen sozialen Belangen: Als zweite europäische Hauptstadt hat die Stadt eine Anlaufstelle für Familien mit LGBTI Belangen eingerichtet. Zudem wurde ein bindendes Programm an Schulen eingeführt, unterstützt von WASt, der Antidiskriminierungsstelle in Wien. Es folgen somit auch Taten, nicht nur per Regenbogenflaggen im Wiener Rathaus (bspw. beim letzten Putin Besuch) oder den ersten gleichgeschlechtlichen Ampelmännchen in diesem Jahr. Nicht zuletzt hat der Life Ball als größtes europäisches Benefizevent im Bezug auf AIDS dazu beigetragen, toleranter zu sein – längst ist er fest im Wiener Jahreskalender verankert. Das städtische Tourismusbüro wirbt bereits seit 1998 mit dieser Offenheit für gleichgeschlechtliche und trans* Paare als Besucher und immer mehr rückt der lesbische Anteil der Besucher_innen in den Fokus. Die Kriminalstatistik spiegelt das Bestreben wider. Im europäischen Vergleich liegt Wien im Bereich der An- und Übergriffe auf LGBTI deutlich hinter vielen anderen Großstädten. Statistisch gilt es sogar als drittsicherste Stadt der Welt und belegt Platz 1 der lebenswertesten Städte (Mercer-Ranking)!

Wiens lesbische Szene

Vienna Pride Parade, Wagen HoSi Wien, © Larissa

Wagen HoSi Wien, © Larissa

Auch wenn die Wiener Szene wie so häufig für Schwule deutlich größer ist als für Lesben und Trans*, wird spezifisch lesbisch das ein oder andere geboten. So laden unter anderem die Buchhandlung ChickLit – feministische Unterhaltung, das Frauencafe und die für Lesben und Schwule wichtigen Anlaufstellen Das Gugg von HOSI Wien (Homosexuelle Initiative Wien, der 1. Schwulen- und Lesbenverband Österreichs) und RosaLila Villa zum Verweilen, Treffen und Stöbern ein. Mit den Partyreihen der „Las Chicas“ und „G. Spot“ gibt es auch ganzjährig erfolgreiche Partyreihen für lesbische und bisexuelle Frauen. Für längere Aufenthalte empfehlen sich neben den vielen Bädern und Sportanlagen der Stadt, die laufenden LGBTI Veranstaltungen wie bspw. Lesungen, Aktivitäten der Dykes on Bikes oder lesbenorganisierte Ausflüge ins Umland.

Wiens feministische Geschichte

Wer mehr über die feministische Geschichte und Gegenwart Wiens erfahren möchte, ist bei Historikerin und Guide Petra Unger mit den ersten Frauenstadtrundgängen gut aufgehoben. Zwischen Männerstatuen und Fußballstadion gibt es viel über die progressiven und unabhängigen Frauen der Stadt zu berichten, auch per Rad wer mag. So lernen wir, dass die große Revolution 1848/49 im kaiserlichen Österreich ihren Anfang bei den weiblichen Straßenarbeiterinnen fand. Sie verdienten weniger als ihre männlichen Kollegen und dieser bereits niedrige Lohn wurde erneut gesenkt. Zudem hatten sie keinerlei Schutz bspw. bei Schwangerschaft. Dagegen lehnten sie sich mit ihren solidarischen Arbeitskollegen demonstrierend auf und forderten Änderungen ein. Die Demonstration wurde schließlich am Eingang der Prater Hauptallee blutig niedergeschlagen.

Auch das Hotel Sacher samt Torte verdankt seine Berühmtheit einer Frau. Anna Sacher (1859– 1930) übernahm 1892 nach dem Tod ihres Mannes Eduard Sacher (Erfinder der Torte) die Leitung des eleganten Hotels und machte es mit ihrem eigenen Unternehmensstil weltbekannt und -geschätzt. Großes philanthropisches Engagement zeigte Pauline Metternich (1836–1921), indem sie vieler Künstler und die Wiener Poliklinik unterstützte. Als angebliche Feindin der Kaiserin organisierte sie zudem viele große Bälle und Benefizveranstaltungen.

Judith Deutsch-Haspel memorial in Ramat Gan, By Avi1111 dr. avishai teicher (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

By Avi1111 dr. avishai teicher (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Der jüdische Sportvereins Hakoah Wien brachte viele erfolgreihe Schwimmerinnen hervor und ermöglichte vielen seiner Angehörigen die Flucht vor den Nazi-Schergen. Die mehrfache Meisterin und Rekordhalterin Judith Deutsch lehnte 1936 eine Teilnahme an den olympischen Spielen in Deutschland aus Protest ab. In der Folge sperrte sie der Schwimmverband lebenslang und erkannte ihr alle Titel ab. Ihr gelang die Flucht nach Israel. Erst 1995 wurde ihr und allen weiteren betroffenen jüdischen Sportler_innen eine offizielle Entschuldigung entgegengebracht und die Titel wieder anerkannt; ein Teil der noch Lebenden kehrte dazu auf Einladung für die Veranstaltung sogar nach Österreich zurück.

Interessant und überraschend auch die Ansätze zu mehr Gleichberechtigung von Frauen im heutigen Wiener Alltag: in der Straßenbahn das Bild mit dem Mann, der ein Kleinkind hält, in der städtischen Umweltbroschüre sind die Bezeichnungen geschlechtsneutral und die Darstellungen integrativ.

Gaumenschmaus und guter Wein

Wien Restaurant Kussmaul, © Thomas Schauer

Restaurant Kussmaul, © Thomas Schauer

Dem Gaumen wird in Wien auf jeden Fall geschmeichelt – Restaurants wie das Kussmaul, Café Berg oder das Palmenhaus Café sind zwar keine ausgesprochenen Szenelokale, lesbische Gäste sind aber überall willkommen und das Essen schmeckt auf jeden Fall. Ein Besuch auf dem Naschmarkt ist ebenso Pflicht, wie der auf dem weniger touristischen Karmelitermarkt, der mit allerlei regionalen und saisonalen Leckereien lockt.

Der Besuch bei einem der vielen Heurigen (Ausschank einer lokalen Winzerei) lohnt sich für die Weinliebhaber_innen und der Brunch im Café Willendorf in der RosaLila Villa für Spätaufsteher.

Wien: Café Fett + Zucker, © Bubu Dujmic

Café Fett + Zucker, © Bubu Dujmic

Das lesbisch geführte und empfohlene Café Fett + Zucker lockt mit gleichnamigem Gaumenschmaus: leckere, hausgemachte Kuchen und Leckereien sowie ausgewählte Specials. Auch das freundliche Lokal Marea Alta zieht eher Lesben als Schwule an. Vegetarische und vegane Leckermäulchen finden fast überall auf der Speisekarte etwas, wenngleich die Wiener Küche allgemein sehr fleischlastig ist.

Neben den bekannten Hotelketten und Übernachtungsmöglichkeiten empfiehlt sich das gehobenere 4* Boutiquehotel Altstadt Vienna samt Biofrühstück. Jeder Raum ist individuell eingerichtet und von Designern entworfen; lesbische Frauen sind hier Dank der Hotelchefin ausdrücklich Willkommen.

Regenbogenparade 2015, Eheöffnung und Pride Village

Wien Pride Village 2015, © Maira Reis

Pride Village 2015, © Maira Reis

Die Wiener Pride Parade lud mit dem Motto „Made in Pride“ zum 20jährigen Jubiläum ein und das auf dem 150jährigen Prachtboulevard, der Ringstraße. Passend dazu gab es am Rathausplatz zum 5. Mal ein „Pride Village“ mit den unterschiedlichsten Ständen. Etwas kontrovers dabei die SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs): Die Partei warb groß für gleiche Rechte, hatte jedoch erst zwei Tage zuvor im Nationalrat gegen eine Öffnung der Ehe gestimmt. Die deutsche Schwesterpartei lässt grüßen. Davon unbeirrt demonstrierten trotz Regen fast 100.000 Besuchende auf der Wiener Ringstraße für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Lesben zeigen hier fast genauso viel Präsenz wie Schwule und auch die BDSM Fetischszene ist überraschend groß und sichtbar. Passend dazu setzten die Wiener Straßenbahnen mit Regenbogenflaggen an allen Trambahnen ein Zeichen für Toleranz, ebenso wie viele weitere öffentliche Einrichtungen und Gebäude. Auf der „Girls Pride Night“ am gleichen Abend im Volkstheater überraschte die freundliche und offene Stimmung unter den Feiernden. Immerhin ist es die größte Party für lesbische und bisexuelle Frauen an diesem Tag mit über 1.500 Gästen.

Vienna Pride Parade, Putin-Protest: To Russia with Love, © Larissa

Putin-Protest: To Russia with Love, © Larissa

Wer nun Lust auf die „lesbische Seite Wiens“ bekommen hat, kann sich insbesondere unter Wien schwul/lesbisch oder Gay Vienna über aktuelle Termine und Sehenswürdigkeiten informieren.
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön der Autorin an das engagierte Team des Wiener Tourismusbüros für die hilfreichen Auskünfte, neuen Eindrücke von und spannenden Einsichten in die Stadt!

Zahlen & Fakten über Wien
Die Bundeshauptstadt Österreichs
ca. 1,7 Mio. Einwohner/ im Großraum ca. 2,6 Mio.
415km² Stadtgebiet
27 Schlösser, 163 Stadt- und Gartenpalais
280 imperiale Parks und Gärten
120 Musik- und Theatherbühnen
450 Bälle jährlich
über 100 Museen
7.400 Lokale
6 Mio. m² Fläche „Grüner Prater“
42km Strand (Donauinsel)
9 Universitäten, 5 Fachhochschulen und 6 Privatuniversitäten
60.000 Betten in 428 Hotels und Pensionen

Kontakte und weitere Infos






 

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2 thoughts on “Wien wird lesbischer: Geschichte meets Pride”

  1. Antonie Gleich sagt:

    Sehr interessanter Artikel liebe Larissa,
    das macht Wien noch um ein vielfaches sympathischer und ist mir auf jeden Fall eine Reise wert :-))
    Antonie

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