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EU-Parlaments-Vize Ulrike Lunacek: SELBST.BEWUSST.LESBISCH.

Größere Sichtbarkeit und Akzeptanz von Lesben

Lesben sind immer und überall!

Ulrike Lunacek ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Am 7. Mai ist sie bei der Podiumsdiskussion SELBST.BEWUSST.LESBISCH. der Wirtschaftsweiber und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in der Kölner Südstadt zum Thema lesbische Sichtbarkeit zu sehen und zu hören. Vorab hat sie phenomenelle ein paar Fragen beantwortet.

Frau Lunacek, finden Sie, dass Lesben in der Politik zu wenig sichtbar sind?
Ja, Lesben sind in der Politik nach wie vor zuwenig sichtbar. Wir erleben doppelte Diskriminierung als Frauen und als Lesben. Außerdem ist der öffentliche Raum immer noch patriarchal geprägt, d. h. Männer nehmen mehr Raum ein, egal ob hetero oder schwul. Auch sprachlich wird oftmals behauptet, Lesben seien bei „gay“ oder „homosexuell“ mitgemeint – wenn wir die Probe aufs Exempel machen, erfahren wir aber, dass dem nicht so ist.

Selbstverständlich ist auch in der Politik eine größere Sichtbarkeit von Nutzen, um zu zeigen, dass Lesben ein ganz selbstverständlicher Teil der Lebensrealität und Gesellschaft sind und dass sie auch entsprechend in der Politik vertreten sein sollen.

Wünschen sich mehr Lesben, öffentlich als lesbisch auftreten zu können?
Ja, es gibt leider immer noch viele, die Angst haben – berechtigt oder unberechtigt. Das fängt an bei der Angst an, am Montag in der Früh in der Schule, an der Uni oder im Büro zu sagen, dass ich mit „meiner Freundin/Lebensgefährtin/Partnerin“ im Kino war, nicht mit „einer Freundin“. Je mehr von uns offen und öffentlich zu unserem Lesbisch-Sein stehen, desto leichter wird es für andere und desto mehr gewöhnt sich auch die Allgemeinheit daran, dass es uns gibt. Denn ich höre immer noch und immer wieder: „Ich kenne ja keine!“

Zu zeigen und dazu stehen zu können, wer du bist und wie du leben möchtest, ist für mich ein Grundrecht und gleichzeitig Grundlage für ein gelungenes Leben.

Ulrike Lunacek, Vize EU-Parlament, Fotocredit: flickr © Wolfgang Zajc

Ulrike Lunacek, Fotocredit: flickr © Wolfgang Zajc

Dass diese Sichtbarkeit überall möglich ist, dafür setze ich mich ein. Schon seit der Zeit vor etwa 30(!) Jahren, als wir in Wien mit einer Gruppe Lesben einen Straßenbahnzug mieteten mit der Aufschrift „Lesben sind immer und überall“ und damit quer durch Wien fuhren! Deshalb fordere ich auch, dass der von mir im Februar des Vorjahrs mit guter Mehrheit durchs Europäische Parlament gebrachte „Fahrplan gegen Homophobie und Diskriminierung auf Grund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität“ von der neuen EU-Kommission endlich beschlossen wird. So wird der Angst und Diskriminierung von LGBTI-Personen EU-weit und darüber hinaus entgegengesteuert.

Apropos Angst: Das Leben ist zu wertvoll und unsere Zeit auf diesem Planeten zu kurz, um von Angst geprägt zu leben. Deshalb rate ich lesbischen Frauen immer wieder: Geht offen damit um, der kleine Moment von Überwindung und ja, vielleicht auch Angst, ist es mehr als wert – es gibt zumindest in unseren Breiten mehr Anerkennung als manche meint.

Sind Ihrer Einschätzung nach Frauen allgemein zu wenig in öffentlichen Ämtern präsent?
Ja. Für die mittlere Führungsebene und Chefetage stimmt das zweifellos. Der Hauptgrund dafür sind die Seilschaften und Altherren-Clubs in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, die die Diskriminierung von Frauen nicht einmal wahrnehmen, geschweige denn zu ändern versuchen und sich auch deshalb immer noch massiv gegen z. B. Quotenregelungen zur Wehr setzen. Was wir – neben gleichem Lohn für gleiche Arbeit – brauchen ist flächendeckende gute und kostenlose bzw. günstige Kinderbetreuung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mütter und Väter, damit Unternehmen lernen, dass auch Männer der Kinder wegen zu Hause bleiben.

Eine starke Quotenregelung auf EU-Ebene bricht auch die Blockaden in Regierungen und Wirtschaft auf. Nur so kann die „gläserne Decke“ durchbrochen werden. Auf freiwilliger Basis gibt es Halbe-Halbe erst am Sanktnimmerleinstag! Die derzeitige Realität ist erschreckend und der europaweite Frauenanteil von gerade einmal 12 Prozent in Vorständen und nur 3 Prozent bei Führungskräften ist nicht hinnehmbar. Auch nicht für die Wirtschaft und den Staat als Ganzes, die weiter Potenzial und Geld verlieren, das in die Ausbildung von Frauen investiert wird, die es dann nicht in Spitzenpositionen schaffen. Allen muss klar werden:

Auf Frauen verzichten heißt Geld vernichten!

Welche Hindernisse stehen heute noch lesbischen Politikerinnen im Weg, die bewusst nicht öffentlich als lesbisch auftreten?
Heteronormativität ist ein komplizierter Begriff, aber auch daran liegt es: Die immer noch gängige Annahme, Frauen seien „natürlich“ heterosexuell und würden polemisch gesagt nur auf männliche Gönner oder Geliebte warten. Diese Haltung macht es für Lesben schwer, sich immer wieder klar zu deklarieren, Das passiert ja nicht nur einmal im Leben, dass du gefragt wirst, ob du („natürlich hetero“) verheiratet bist oder Lust auf ein Date hast. Aber meiner Erfahrung nach ist es auf Dauer leichter, wenn ich offen damit umgehe.

Gibt es eine mögliche Änderung, die Lesben in öffentlichen Positionen das Zeigen ihres Lesbischseins leichter machen würde?
Ganz zentral ist die nötige gesellschaftspolitische Änderung, dass Lesbischsein als „natürliche“, „normale“ Option von Frauenleben anerkannt wird. Dazu gehört, dass Mädchen schon als Kinder lernen, dass sie ihr Leben selbstbestimmt und eigenständig leben können (dazu auch eine gute berufliche Ausbildung und ein eigenes Einkommen benötigen) und nicht nur dann eine vollwertige Frau sind, wenn sie einen Mann haben.

Mit dem Mut, zu zeigen wer und wie ich bin, wächst die Akzeptanz.

Und mittlerweile hat sich auch in der Öffentlichkeit sehr viel getan und zum Besseren verändert. Zu meiner Schulzeit Anfang der 1970er-Jahre kannte ich nicht einmal das Wort „lesbisch“. Ich erinnere mich auch an keine Diskussionen darüber. Erst um die frauenbewegten Zeiten Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre kam mir diese Option für mein Leben als reale Möglichkeit in den Sinn.

Als ich das erste Mal für die Grünen antrat, 1995 war das, war ich weit und breit die erste Politikerin in Österreich (und wohl auch anderswo), die zu ihrem Lesbischsein gestanden ist. Und es gab auch keine schwulen Politiker, die sich offen gezeigt hätten. Insofern ist hier viel in Bewegung gekommen. Mittlerweile gibt es schon lange Filme, die positive, ganz „normale“ Geschichten über Lesben erzählen, es gibt Antidiskriminierungsgesetze und viel mehr offen lebende Lesben als früher – und das ist gut so!

Haben Sie eine Art Vorbildfunktion für Lesben?
Ich denke schon, und das wird mir auch von vielen Frauen immer wieder bestätigt. Was mich manchmal verwundert, ist, dass mein offener Umgang mit meinem Lesbischsein auch heute noch als etwas Besonderes gesehen wird. Vielleicht deshalb, weil ich immer noch als Pionierin gesehen werde und es wohl auch bin, z. B. jetzt als erste offen lesbische Vizepräsidentin des Europaparlamentes.

Wenn ich durch mein Leben andere Frauen ermutigen kann, ihr Leben freier und ohne Angst zu leben, dann freut mich das besonders.

Danke, Frau Lunacek!

Das Interview führte Susanne Lück

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