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phenomenelle des Tages: Jil Sander

Jil Sander (geb. 27.11.1943)

Was spätestens seit dem Durchbruch von Gayle Tufts ohne weiteres als perfektes Denglisch durchgehen würde, brachte der Mode-Ikone Jil Sander 1997 noch den Sprachpanscher des Jahres* ein – für die korrekte weibliche Form reichte das Sprachgefühl des prämierenden Verein Deutscher Sprache dann allerdings nicht mehr. Der Designerin mit dem klingenden Beinamen, Queen of Less, wurde die zweifelhafte Ehre für ein Zitat in der FAZ zuteil, indem sie Sätze sagt wie diese: „Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.“ Klingt tatsächlich ein wenig befremdlich.

So wie das „weniger ist mehr“ ihre Mode prägt, so gehören Haltung und Beherrschung zu der in Hamburg Aufgewachsenen. Auch nach Rückschlägen geht Jil Sander mit Non-Chalance weiter: „Aufstehen. Krone richten. Weitermachen“. Nach 2 Jahren Textildesignstudium in Krefeld wechselt sie in den 60er Jahren zum Studium nach Los Angeles. Wieder 2 Jahre später kehrt sie nach Deutschland zurück, wird Moderedakteurin bei verschiedenen Frauenzeitschriften. 1968 eröffnet sie in Hamburgs noblem Viertel Pöseldorf eine Boutique. Sander ist gerade 24 Jahre alt, ab 1974 verkauft sie neben anderen Modemarken auch eigene Kollektionen.

Lässige Eleganz – ihrer Zeit weit voraus

Die erste große Schau in Paris wird zum Flop. Ihrer Zeit weit voraus setzt Sander bereits damals auf klare Formen, ihre Mode ist schlicht und trotzdem elegant. Gefeiert werden andere Stars, üppig und farbenfroh so stellt sich die Modebranche der Zeit lieber dar. Der Durchbruch kommt 1976 mit dem Zwiebellook, einzelne Teile, die beliebig miteinander kombinierbar sind. Besonders Business-Frauen sind von ihrer Mode begeistert. Die Marke Jil Sander wird zu einem weltweiten Erfolg.

1978 folgt das eigene Parfum. Ende der 90er kommt die Krise, Sander verkauft die Aktienmehrheit an Prada, bleibt selbst Kreativchefin, bis es zum Knall kommt. Sie geht, kehrt 2003 zurück für ein Jahr. Die Marke wandert weiter und landet 2008 bei einem japanischen Konzern. In dem Land, in dem ihre Mode besonders beliebt ist. Mit 68 Jahren holen die Verantwortlichen sie noch einmal zurück. Ihre Kollektionen werden wieder umjubelt, aber im Oktober 2013, kurz vor ihrem 70. Geburtstag, zieht sie erneut einen Schlussstrich.

Ein unbekannter Weltstar

So berühmt das Konterfei der Jil Sander als Model firmeneigener Werbekampagnen ist, so privat und zurückhaltend lebt eine der bedeutendsten Mode-Designer_innen des 20. Jahrhunderts. Anders als Kollegen wie Lagerfeld oder Joop meidet sie Interviews, Talkshows und große Auftritte. Seit Jahrzehnten lebt sie mit ihrer Lebensgefährtin zurückgezogen. Dass sie lesbisch ist, ein offenes Geheimnis. Manchmal nutzen Neider die Tatsache dennoch zu bösartigen Kommentaren. Als das Modehaus Jil Sander 1997 erstmals mit einer Männerkollektion an den Markt geht, spöttelt Wolfgang Joop hinterhältig verschleiert, von der Berliner Zeitung unwidersprochen aufgegriffen:

Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Frau Männermode machen will, in deren Firma sich niemand für Männer interessiert.

*Bei der Verleihung hieß der zweifelhafte Preis noch Sprachschuster des Jahres, erst ab 1998 wurden die weiteren – bis heute übrigens rein männlichen – Preisträger Sprachpanscher genannt.

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