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phenomenelle des Tages: Gertrud Bäumer

Gertrud Bäumer (12.9.1873–25.3.1954)

DBP 1974 793 Gertrud BäumerGemeinsam mit ihrer langjährigen Lebens- und Arbeitsgefährtin Helene Lange gehört sie zu den prominentesten Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung. Ein Bild, das beide Frauen eifrig mitgestaltet haben. Über Jahrzehnte fast getilgt aus der Geschichte der Pädagogik, ist heute weitgehend unumstritten, dass während der Weimarer Republik „bildungspolitisch kein Weg“ an Bäumer vorbeiführt. Umstritten bleibt bis heute ihre Haltung zu den Nationalsozialisten.

Der Vater stirbt früh und hinterlässt eine Witwe mit 3 Kindern. So ist die Mutter finanziell auf die Hilfe von Verwandten angewiesen. Für Bäumer ist das Ansporn, einen eigenen Beruf zu ergreifen. Ein solch abhängiges Leben will sie nicht führen. Mit 15 macht sie ihren Abschluss an der höheren Töchterschule und besucht anschließend ein Lehrerinnenseminar.

Ich hätte die Eindrücke dieser wenigen Jahre nicht missen mögen. Sie waren lebensentscheidend. Aber mich selbst bewegte ein bis dahin unerfüllbarer, brennender Wunsch: nach einer tieferen Bildung. Jeder neue Eindruck meiner Berufserfahrung enthüllte neues unbekanntes Land, nicht durchschaute Zusammenhänge, bedeutungsvolle, unzulängliche Hintergründe.
(Quelle Bundesarchiv 1076/1 S. 2f.)

Beruflich und politisch engagiert

Bereits mit 21 Jahren steht sie zum ersten Mal vor einer Klasse. Schnell findet sie auch Kontakt zu den organisierten Lehrerinnen. 1901 wird sie in den Vorstand des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverbandes (ADLV) gewählt. Das spornt sie an, noch ein Universitätsstudium in Berlin nachzuschieben. Für den Lebensunterhalt geht sie nebenbei arbeiten, Stipendien oder sonstige Unterstützung sind männlichen Studenten vorbehalten. 1904 promoviert sie dennoch mit Erfolg.

Gemeinsam arbeiten und leben

In der Berliner Zeit lernt sie auch Helene Lange kennen, die wegen eines Augenleidens eine Asstistentin braucht. Bald werden beide für einander die wichtigste Bezugsperson. Lange, die 25 Jahre älter ist, baut Bäumer zu ihrer Nachfolgerin auf. Politisches und Privates trennen sie so konsequent, dass bis heute darüber spekuliert wird, ob sie als Lebensgemeinschaft nur den Tisch teilen. Gemeinsam verfassen sie das Handbuch der Frauenbewegung. Auch in politischen Fragen denken sie ähnlich. Bildung soll aus ihrer Sicht Mädchen und Frauen ebenso zugänglich sein wie Jungen und Männern. Das bürgerliche Ideal der reinen Zweigeschlechtlichkeit und die Polarität zwischen männlichem und weiblichem Prinzip stellen sie nie in Frage.

Politisch sozial-liberal verortet

Bäumer wie Lange sind Mitglied in der sozial-liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Die jüngere wird stellvertretende Vorsitzende und sitzt von 1920 bis 1932 im Reichstag. Als Ministerialrätin verantwortet Bäumer ab 1920 die Bereiche Jugendwohlfahrt und Schwulwesen. Als Publizistin widmet sie sich in den 20er Jahren häufiger dem aufkommenden Nationalsozialismus, den sie einerseits kritisiert, dessen großdeutsche Außenpolitik sie andererseits bis zuletzt unterstützt. Zwar wird sie 1933 aller Ämter enthoben, kann aber bis 1944 noch die Zeitschrift Die Frau herausgeben. Den Antisemitismus kritisiert sie, verhindert aber zum Beispiel 1919, dass Alice Salomon Vorsitzende des Bund Deutscher Frauenvereine werden kann. Ihr Argument: die antisemitsche Grundstimmung in der deutschen Bevölkerung. Nach 1945 wird Bäumer Mitgründerin der CSU. Wirklichen politischen Einfluss gewinnt sie nicht mehr.

Foto: By scanned by NobbiP (scanned by NobbiP) [Public domain], via Wikimedia Commons

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