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Ein Abschied zum Auftakt: Der letzte Vorhang für die Kölner Aidsgala

Cassy Carrington, Kai Wessel, Marcella Rockefeller (von li.), ©Sabine Arnolds

Das Spiel mit der Geschlechterrolle als abendfüllendes Thema

Unter dem Motto „Don’t be a Drag, be a Queen/King“ öffnet die Kölner Aidsgala heute zum 24. und letzten Mal ihre Pforten im Kölner Maritim Hotel. Stargast wird dabei die Eurovision-Siegerin 2014 Conchita Wurst sein. Und die LGBT-Ikone hält sich bereits in Köln auf, erste Fotos von ihr tickern gerade über Facebook.

Die letzte Gala wird gleichzeitig eine Veranstaltung der ersten Momente und neuen Konzepte sein. Nach vielen Jahren mit Tischen, Bewirtung und Essen weicht die Plauderatmosphäre einer Theaterbestuhlung. Ganz bewusst spielt das Motto auf die unterschiedlichen Lebensstile und -welten von Lesben, Schwulen, Bi, Trans* und Inter* Menschen an. Das Spiel mit Geschlechterrollen und -zuschreibungen dafür stehen alle Künstler_innen, die heute die Bühne erobern – ob die Drag Queens Cassy Carrington und Marcella Rockefeller, der „Wunderknabe des Chansons“ Tim Fischer, die virtuose Verwandlungskünstlerin Bridge Markland oder Counter-Tenor Kai Wessel, um nur einige zu nennen. Aus dem Programmheft:

Mit dem Titel „Don’t be a Drag, just be a Queen“ wollen wir diese Gala einem Thema widmen, das in unser aller Köpfe gelegentlich für Verwirrung sorgt. Unser über Generationen anerzogener Hang, die Welt in schwarz und weiß, Mann und Frau und richtig und falsch einzuteilen, hat vermutlich nie eine tatsächliche Wirklichkeit beschrieben. […] Künstlerinnen und Künstler auf der Bühne entführen uns heute in die Welten zwischen Schwarz und Weiß …

Bridge Markland überschreitet virtuos Grenzen

Aus lesbischer Sicht besonders interessant ist Bridge Markland. Sie überschreitet sowohl künstlerisch als auch spielerisch alle Grenzen. Virtuos verwandelt sie sich auf der Bühne von Mann zu Frau zu Mann und umgekehrt. Und stellt damit jedes festgelegte Geschlechterklischee auf den Kopf: Ein Mann ist ein Mann ist ein Mann? Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau? Nein, so einfach macht Markland es ihrem Publikum nicht. Dabei nutzt sie souverän tänzerische, theatralische und cabarettistische Elemente für ihre Performance.

So ganz nebenbei feiert die Aidshilfe Köln mit dieser Gala auch ihr 30-jähriges Bestehen. Wie überall in Deutschland Mitte der 80er Jahre gründete sich die Selbsthilfegruppe 1985 aus schwulen Männern und ihren Freund_innen, um über die damals neue Krankheit AIDS aufzuklären, Infizierte und Kranke mit Informationen zu versorgen, sie zu beraten und zu betreuen. Aus dem kleinen ehrenamtlich arbeitenden Verein wuchs die Aidshilfe Köln im Laufe von drei Jahrzehnten zu einer lokalen Größe mit derzeit ca. 40 hauptamtlichen Mitarbeitern an. Vieles hat sich in den Jahren verändert und gerade auch den Aidshilfen ist zu verdanken, dass HIV und AIDS heute keine Tabu-Themen mehr sind. Aufklärung, Beratung und Betreuung bleiben weiterhin die Kernaufgaben der Aidshilfe Köln. Nach wie vor braucht die Selbsthilfeorganisation Gelder für neue Projekte, wie das Gesundheitsprojekt Checkpoint – nicht nur für schwule Männer. Doch die Ressourcen wollen gebündelt werden – finanziell und personell. Einer der Hauptgründe, warum die Gala heute zum letzten Mal stattfindet.

Conchita Wurst bekommt Jean-Claude-Letist-Preis

Der Höhepunkt des Abends wird sicher die Verleihung des Jean-Claude-Letist-Preises an Conchita Wurst. Erstmals verleiht die Aidshilfe den nach ihrem Gründungsmitglied Letist benannten Preis. Die Sängerin soll geehrt werden, weil sie

wie selbstverständlich ihren Weg bis zur Gewinnerin des European Song Contest gegangen ist. So wurde sie Vorbild für viele Menschen ihren Weg in ähnlicher Weise, ohne Scheu und selbstbewusst zu gehen.

So selbstverständlich wie Letist wählte Conchita Wurst „die für sie stimmige Persönlichkeit und lebt sie unbeirrt und selbstbewusst“. Die Aidshilfe respektiert diese Leistung und vor allem ihren Anspruch, „in jeder Minute sie selbst zu sein.“ Der Letist-Preis wird zunächst einmalig vergeben, ob es weitere Preisträger_innen geben wird, da mag man sich nicht festlegen. Er soll in Zukunft „besonderen Menschen zu besonderen Anlässen“ verliehen werden.

Das Event ist komplett ausverkauft. Kurzentschlossene können ihr Glück vielleicht noch an der Abendkasse probieren. Aber Conchita Wurst wird auf dem CSD Köln noch bei verschiedenen Gelegenheiten zu bewundern sein, u. a. am CSD-Samstag auf der Heumarktbühne zur Erinnerungsminute „Kerzenlichter gegen das Vergessen“, bei der Parade-Eröffnung am Sonntag um 12 Uhr und auf dem Wagen der Aidshilfe Köln.

Drags können mehr als nur Queen

Schade nur, dass im Vorfeld fast ausschließlich mit dem Queen-Part des Gala-Mottos geworben wurde. Für phenomenelle bekamen wir zwar ein Banner mit „Don’t be a Drag, just be a King“, doch anderswo ließ sich der abgewandelte Slogan nicht sehen. Dass Drag Kings und ihr Spiel mit der Geschlechterrolle einen vielleicht kleinen, aber dennoch unverzichtbaren Teil der lesbischen Szene ausmachen, scheint den Veranstalter_innen der Kölner Aidsgala noch nicht aufgegangen zu sein. Dabei gehörten in den letzten 24 Jahren viele Lesben zu begeisterten Fans der Gala. Ein „Naja, vielleicht beim nächsten Mal“ fällt leider aus. Trotzdem Danke für viele tolle, wenn auch manchmal etwas langwierige, glamouröse CSD-Auftakt-Abende.

Fotocredit: Cassy Carrington, Kai Wessel, Marcella Rockefeller (von li.), © Sabine Arnolds

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