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LITFEST homochrom

CSD Köln wird schöner, stolzer, schwuler und – provinzieller

Das Logo des ColognePride 2016, anders. leben! in weißer Schrift auf bunten Flecken

ColognePride 2016 unter dem Motto „anders. leben!“

Jedes Jahr das gleiche Spiel: Mitte April gibt sich der KLuST (Kölner Lesben- und Schwulentag), seines Zeichens Veranstalter des Kölner CSD und ColognePride an einem mehr oder weniger noblen Orte die Ehre. Pressekonferenz. Am gestrigen Nachmittag bekamen wir die dazugehörige umfangreiche Pressemappe. Und wir staunten nicht schlecht bei deren Studium.

Der CSD bedeutet doch immer noch irgendwie politisch feiern. 2016 heißt das in Köln unter dem Motto „anders. leben!“ Klingt schick. modern! Hier ein Punkt, dort ein Ausrufezeichen – wahrlich ein Motto auf der Höhe der Zeit. Nun wissen wir phenomenellen als ehemalige CSD-Vorstandsfrauen aus eigener Erfahrung wie schwer es ist, sich jedes Jahr etwas Neues, Griffiges und richtig kraftvoll Politisches auszudenken. Der KLuST erläutert das Hintergründige der kurzen Phrase. Einerseits blickt er zurück auf 25 Jahre Kampf gegen Diskriminierung. Andererseits wagt er die Frage, was es wohl bedeuten mag, 2016 „‘anders‘ zu leben und zu lieben“ – innerhalb der Gesellschaft, aber auch der eigenen Szene.

CSD-Geschichte op kölsche Art

Nur 25 Jahre? Kämpfen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queer (LGBTIQ) nicht schon viel länger für gleiche Rechte? Selbstverständlich. Bereits 2009 widmete der KLuST einen ColognePride der Historie: „Unsere Freiheit hat Geschichte“ bezog sich auf 40 Jahre Widerstand im Gedenken an den legendären Aufstand in der New Yorker Christopher Street 1969. Und nicht erst seit Robert Beachy wissen wir, dass im Deutschland vor 1933 die erste Lesben- und Schwulenbewegung entstand. 2016 gibt man sich heimatverbundener. Vor 25 Jahren gelang es den in NRW rotierenden Gay Freedom Day erneut nach Köln zu holen und nicht mehr her zu geben. Flugs gründeten Aktivist_innen einen Verein, den KLuST, und veranstalten seitdem jährlich einen CSD. Anfänglich mit wenigen hundert Teilnehmenden, heute als mainstream-nahes Volksfest.

Die weiteren Ausführungen zum Motto lesen sich wie ein Rundumschlag durch die aktuelle Lage. Staatstragender könnte es die Kanzlerin auch nicht formulieren. Die Forderung nach #EheFürAlle wird nur verklausuliert in Worte gefasst. Mutig wäre gewesen, vom Rat und/oder der Oberbürgermeisterin eine eindeutige Stellungnahme einzufordern. Nun, der Fokus liegt eben darauf, „wie wir zusammenleben und zusammen leben wollen – in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft“. Konkret wird es nur beim § 175, eine wichtige, aber ebenso eher bundespolitisch lösbare Aufgabe.

Echte Forderungen auf kommunalpolitischer Ebene gehören wohl nicht auf die Agenda eines Kölner CSD. Die überlässt man gerade in der Flüchtlingsfrage lieber den LGBTIQ*-Refugee-Initiativen. Die machen gute Arbeit, keine Frage. Aber es wäre doch was, wenn der sozusagen große Bruder, deren Forderungen unterstützt und für Flüchtlinge mehr als nur eine Randformulierung in einem Nebensatz übrig hätte. Dafür zeigt man im Rahmen des Outreach-Programm Aktivist_innen aus anderen Ländern wie stolz Lesben und Schwule in Köln feiern können. Mut machen soll das „und aktiv demonstrieren, dass wir hinter ihnen stehen“. Was saturierte Lesben und Schwule in Deutschland von Aktivist_innen in Russland, China oder der Türkei und ihrem Mut lernen könnten, spielt keine Rolle.

Anders leben in Rheinkultur

Als sprichwörtlicher Ausdruck des Mottos rühmt sich der Verein mindestens einer Innovation. Neben den etablierten Bühnen am Heumarkt (Kölsch-Programm, NDW und Schlager), Altermarkt (Politik und Kleinkunst), vor dem Gürzenich (Techno und Tanz) und dem Straßenfest in den umliegenden Altstadt-Straßen (Bierbuden, Fast-Food und Vereine) können Ruhebedürftige sich erstmals beim Familien- und Regenbogenfest auf dem Eisenmarkt entspannen. Da darf die Transfrau mit dem schwulen Papi Windeltipps austauschen, die vom Kopfsteinpflaster erschöpfte Drag-Queen mit dem Transmann chillen und die lesbische Karrieremama mit ihrer Babysitterin turteln. Alles bleibt schön alkoholfrei, „mit Kölschstangen soll dort nicht angestoßen werden“. Anders leben in Rheinkultur. In der Domstadt darf halt jeder Jeck anders sein. Näh wat schön! Darauf ein russisches oder griechisches „Wässerchen“, bitte.

Während sich beim Chillfest unterm Regenbogen die LBTIQ*-Angehörigen der Buchstabensuppe kinderfreundlich bespaßen lassen, feiern die weißen schwulen Männer mit ihren Cis-Genossen auf den anderen Bühnen überwiegend unter sich – diesen Schluss legt zumindest das Studium der Pressetexte nah. Freitags fließt am Heumarkt Kölsch auf dem Platz und musizierend von der Bühne. Immerhin dürfen mit Karnevals-Motto-Queen Nikuta und zwei Sängerinnen von „The Kölsch Cats“ ein paar Frauen dabei sein. Bei der großen Polit-Diskussion zum queeren Cinema bleibt Mann lieber unter sich, mit Rosa von Praunheim (angefragt) und Ralf König als Promi-Stargäste. Lesbische, trans* oder gar inter* Fachleute zum Thema? Fehlanzeige. Bis zum Moderator bleibt der Leinwandtalk schwul besetzt. anders. leben? Spätestens beim Kino erlahmt die Innovationskraft des CSD Köln 2016.

Schlagerstunde: Einmal um die ganze Welt?

Der Kölner Schwule liebt seinen Schlager, deshalb steht der Sonntag ganz in dessen Zeichen. Auch in diesem Jahr ohne WDR4, dafür unter Federführung einer schwulen Traditionskneipe. Statt einmal um die ganze Welt führt der kölsche Schlager-Tripp direkt ins Bermuda-Dreieck. Et schunkelt sich ja so schön am Rhein.

Mit der Lupe bewaffnet, wird die lesbische Leserin am Ende doch noch fündig – auf der Politurbühne am Heumarkt: Erstmals ist der lesbische Karneval dabei. Ich bin gespannt, wie die Schnittchen bei 35 Grad oder Sturmwetter schmecken. Witzig wird’s auf jeden Fall. Und noch etwas Neues ist dabei, ein Dyke Sofa. Wow! Dass sich dahinter 2 x lesbische 15 Minuten verbergen, wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen zu vernehmen ist, verschweigt man(n) lieber. Welchen prozentualen Anteil das bei „deutlich über 60 Stunden“ Bühnenprogramm ergibt, mag sich jede_r selbst errechnen. Ob „deutlich über“ 65 oder gar 80 Stunden heißt, wir werden nicht mit der Stoppuhr daneben stehen.

Das wird also der CSD Köln 2016: schöner, stolzer, schwuler als je zuvor, aber eben auch ziemlich provinziell. Und wer weiß, vielleicht kommen die wirklich spannenden lesbischen, bisexuellen, trans*, queer und inter* Künstler_innen und Aktivist_innen noch dazu. Lassen wir uns überraschen vom anders. leben! in der ehemaligen Hauptstadt der römischen Provinz Niedergermanien.

Den 2. Dyke March Cologne gibt’s auch

Definitiv anders, nämlich lesbischer und queerer wird es auf jeden Fall beim 2. Dyke March Cologne. Der startet am 2. Juli 2016 um 18:00 Uhr am Roncalliplatz. Letztes Jahr waren 1.500 Dykes* dabei, bunt und queer. Wir sind auch dieses Jahr dabei. Ihr auch?

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