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AHGATA ein Verein begleitet bei Prozessen

Persönliche Beratung für Opfer und ZeugInnen

Das Büro für Prozessvorbereitung und Prozessbegleitung AGHATA – Hilfe für die Zeugin wurde 1998 von der Berliner Sozialpädagogin Brigitte Geier gegründet – nicht als Krisenhotline, sondern als eine kleine Agentur mit privaten Dienstleistungen: AHGATA bietet Frauen, Mädchen und Jungen, die Opfer oder ZeugInnen von Gewaltstraftaten geworden sind (z. B. Vergewaltigung, Misshandlung, Stalking, sexueller Missbrauch) und im Rahmen eines Strafverfahrens vor Gericht aussagen wollen oder müssen, persönliche Beratung und Begleitung zu den notwendigen Terminen an. Auch in zivilrechtlichen Verfahren wie familien- oder arbeitsrechtlichen Angelegenheiten finden Frauen hier Unterstützung. Darüber hinaus veranstaltet das Büro Fortbildungen und Vorträge, beispielsweise für MitarbeiterInnen von Beratungsstellungen und Bildungseinrichtungen, die ZeugInnen und deren Angehörige betreuen.  Den Namen AHGATA wählte Krimi-Fan Brigitte Geier übrigens in Anlehnung an die Schöpferin von Miss Marple, Agatha Christie. Sie verbindet mit ihrem Namen Wahrheitsfindung, Klugheit und Selbstbewusstsein.

Nachfolgerin Antje Prinz übernimmt 2006

Brigitte Geiers Arbeit wird seit 2006 von der ausgebildeten Prozessbegleiterin und Sozialpädagogin Antje Prinz fortgeführt.

Brigitte Geiers Engagement hat mich schon während des Studiums fasziniert. Ich habe ihre Nachfolge aber auch deshalb angetreten, weil ich darin eine Chance sehe, in der Gesellschaft etwas zu verändern. Schließlich trägt jeder durchgeführte Prozess zu mehr Aufmerksamkeit für das Thema Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Jungen bei. Und jede Verurteilung setzt ein Signal, dass es sich bei solchen Taten nicht um Kavaliersdelikte handelt.

Prozessbegleiterin Antje PrinzMit der Ausbildung am Institut für Opferschutz im Strafverfahren RECHT WÜRDE HELFEN hat Antje Prinz sich auf diese spezielle Tätigkeit vorbereitet. Inzwischen haben sich dort  90 psychosoziale ProzessbegleiterInnen qualifiziert, die meisten davon Frauen. Antje Prinz ist die Einzige in ganz Deutschland, die unabhängig und selbstständig arbeitet. Mit ihrer Arbeit helfen Prozessbegleiterinnen und Prozessbegleiter nicht nur den betroffenen ZeugInnen selbst, sondern unterstützen auch Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte, RechtsanwältInnen und MitarbeiterInnen von Jugendämtern und Hilfseinrichtungen für Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer.

Details werden nicht besprochen

Es bedarf der Zustimmung des Gerichts, damit ProzessbegleiterInnen an der Hauptverhandlung teilnehmen dürfen. Das Vertrauen der Justizbehörden, dass die Details  der Straftaten in ihrer Arbeit nicht besprochen werden, hat Antje Prinz sich über Jahre sorgfältig erarbeitet.

Damit ich vom Gericht als neutrale Prozessbegleiterin akzeptiert werde und nicht plötzlich selbst im Zeugenstand sitze, während womöglich die Frau, die ich begleite, allein auf dem Gerichtsflur auf mich warten muss, ist es so wichtig, im Vorfeld der Verhandlung nicht mit der Zeugin über das Geschehene zu sprechen. Ich höre die Details der Tat zum ersten Mal, wenn ich neben ihr am Zeugentisch sitze. Zur Wahrheitsfindung trage ich nur insofern bei, als ich dafür sorge, dass sich die Zeuginnen bestmöglich auf ihre Aussage konzentrieren können.

Diese Professionalität verlangt auch Abstand zur Gegenseite:

Zeuginnen sprechen von Tätern – verständlicherweise. Ich verwende vor der Verurteilung jedoch die  Bezeichnungen „Beschuldigter“ oder „Angeklagter“. Ein Täter ist man nach deutschem Strafrecht erst, wenn man verurteilt ist.

ProzessbegleiterInnen erklären den Zeuginnen „Spielregeln“ des Strafprozesses, wie beispielsweise die Unschuldsvermutung oder das Prinzip „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten), so dass diese Verständnis dafür entwickeln oder sie zumindest nachvollziehen können.

Die Kosten halten sich in Grenzen

shutterstock, Bild: 84312832, © corgarashuEine Beratungsstunde kostet für Normalverdienerinnen 50 Euro. Für einen Prozesstag gilt eine Pauschale. Das Honorar ist auch in Raten zahlbar. Frauen mit geringem Einkommen können ermäßigte Preise in Anspruch nehmen. Weitere Informationen zu den Kosten finden Sie hier. Dank einiger SpenderInnen können auch Frauen in besonders schwierigen Lebenssituationen Unterstützung erhalten. Die Kosten für die sozialpädagogische Prozessbegleitung minderjähriger ZeugInnen trägt in der Regel das Jugendamt, wobei zum Teil auf private Spenden und Stiftungen zurückgegriffen werden muss. Die Spenden organisiert Antje Prinz selbst, und sie verfolgt auch dort konsequent ihren Anspruch, Frauen und Kinder nicht erneut zu Opfern zu machen: Flyer mit weinenden Kindern oder verängstigten Frauen auf dem Titelblatt sucht man bei AHGATA vergebens.

Wir freuen uns über jede finanzielle Unterstützung, da sie dazu beiträgt, Frauen zu ermutigen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Der Erfolg dieser Strategie gibt ihr Recht. Antje Prinz sagt:

Im Laufe der Prozessbegleitung sehe ich viele positive Veränderungen, auch außerhalb des Verfahrens; vieles, das sich im Leben der Zeugin verändert, z. B. dass sie Konflikte in der Familie oder am Arbeitsplatz anspricht, selbstbewusster auftritt und Forderungen stellt. Viele Frauen gehen nach dem Prozess zum ersten Mal in eine Selbsthilfegruppe oder beginnen eine Therapie, um ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Dass die Frauen aktiv ihre Zukunft gestalten, ist sicher zum Teil auch Frucht meiner Arbeit, und es motiviert mich, weiterzumachen.

Wie geht es ihr nach dem Prozess? Empfindet sie ein mildes Urteil oder einen Freispruch als Rückschlag für die Frau, die sich so vieles getraut hat?

Natürlich freut es mich, wenn es zu einer Verurteilung kommt, sowohl als Signal für die Gesellschaft als auch für die Frau; aber nicht um jeden Preis. Die Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen und die Erwartungen von Außenstehenden an das Urteil sind nicht immer identisch. Forderungen nach hohen Strafen ohne Berücksichtigung bestehender Rahmenbedingungen setzen Betroffene oftmals noch zusätzlich unter Druck. Das kann sogar dazu führen, dass sie gar nicht erst Anzeige erstatten.

Die Anzeigenrate bei sexualisierter Gewalt ist in Deutschland im Verhältnis zu anderen mitteleuropäischen Ländern niedrig, die Verurteilungsrate verschwindend gering. Dennoch:

Selbst bei einem Freispruch können Betroffene etwas Positives erreichen. Die bewusste Vorbereitung, die aktive Teilnahme und Nachbearbeitung eines Verfahrens können zum Verständnis für die rechtlichen  Grenzen und zur Verarbeitung einer Straftat beitragen. Und das versuche ich zu ermöglichen.

Tipps für Betroffene

Zur Anzeigenerstattung empfiehlt es sich, bei einem Fachkommissariat der Polizei einen Termin zu vereinbaren, um in einem vertraulichen Rahmen und durch geschulte Beamte befragt zu werden. Die Zeugin kann auch verlangen, dass die Vernehmung von einer Beamtin durchgeführt wird. In größeren Städten gibt es entsprechende Sonderdezernate, die auf Sexualdelikte spezialisiert sind. Welche Dienstelle das ist, kann über die Polizei telefonisch erfragt werden.

Rechtsanwältin kontaktieren

Idealerweise sollte die Frau vor dem Vernehmungstermin bereits mit einer Rechtsanwältin gesprochen haben. Spätestens danach jedoch sollte sie juristische Beratung in Anspruch nehmen, denn: Eine gewaltbetroffene Frau ist für die Strafverfolgungsbehörden zunächst nur Zeugin. Sie benötigt einen Rechtsbeistand, um als Nebenklägerin auftreten und bestimmte Rechte, wie z. B. Einsicht in die Akten, wahrnehmen zu können. Die Kosten der Nebenklagevertretung trägt der Staat.

Rechtsanwältinnen, die sich auf Opfervertretung bzw. Nebenklage spezialisiert haben, können Zeuginnen am besten vertreten. „Gehen Sie nicht einfach irgendwohin, wo Strafrecht auf dem Türschild steht“, rät Antje Prinz. Um eine gute Anwältin zu finden, können Sie sich an AHGATA, aber auch an Organisationen wie Nebenklage e.V. oder an die spezialisierten Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe des Bundesverbandes Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) wenden.

Auch anonyme Spurensicherung möglich

Bei Sexualdelikten geraten Frauen oft in die „Mühlen der Justiz“, bevor sie in Ruhe über eine Anzeige nachdenken konnten: Wenn eine Frau in einer Notfallsituation eine professionelle Untersuchung und Versorgung im Krankenhaus benötigt (Rape Kit, Pille danach), ist für die Kostenübernahme in vielen Bundesländern eine Anzeige nötig. Selbst wenn sie diese später zurückziehen möchte, läuft das Strafverfahren weiter.

In den größeren Städten von elf Bundesländern wird die „Anonyme Spurensicherung“ angeboten, das heißt, die Kosten werden vom Land oder anderen Trägern übernommen. So haben Betroffene Zeit, abzuwägen, ob sie Anzeige erstatten möchten oder nicht. Antje Prinz erklärt:

Wenn Sie noch nicht sicher sind, ob Sie ein Strafverfahren auslösen möchten, können Sie die beweissichernde  Untersuchung im Krankenhaus auch privat finanzieren. Dieser Weg ist sicher nicht für alle, aber doch für viele Frauen machbar.

Die medizinische Spurensicherung kostet ca. 200 Euro. Antje Prinz weiter:

Ein Zwang zur Anzeige führt sicher nicht zu mehr Vertrauen von Gewaltopfern in die Justiz. Die Stärkung ihrer Rechte und die Anerkennung der Opferzeuginnen als Prozessbeteiligte hingegen kann viel mehr dazu beitragen. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten in der Entwicklung der Opferrechte in Deutschland viele Veränderungen zum Guten erreicht wurden, ist auf diesem Feld auch noch einiges zu tun.

Weiterführende allgemeine Informationen zum Thema finden Sie in Teil 1 der Serie: Prozessbegleitung für Opfer von Straftaten.

Foto Waage: shutterstock, © corgarashu

Mehr zu Katrin Heienbrock
Porträt Katrin HeienbrockKatrin Heienbrock, 35, arbeitet seit zwei Jahren in Berlin als freiberufliche Autorin. Sie ist Nachteule, Serienjunkie, Bücherwurm, und freut sich, für phenomelle über Themen zu schreiben, die ihr am Herzen liegen.

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