phenomenelle

Allgemein

Konkursbuchverlag

Lesetipp: Angela Steidle – Rosenstengel

Cover RosenstengelDas ist mal ein ganz anderes Buch, ein Briefroman. Gebunden, in rosa mit eingedruckter Goldschrift, einem Bild König Ludwigs II., alter Landkarte und Lesebändchen – dieses historische Juwel ist schon mit seinem äußeren Erscheinungsbild etwas, vor dem man richtig Ehrfurcht haben kann.
Beim Lesen des Vorwortes der Herausgeberin dann noch mehr Erstaunen: Sie hat mit der Übersetzung und Dokumentation dieser Seiten Unterlagen aus dem Kölner Stadtarchiv gerettet, das im Frühjahr 2009 einstürzte – und so für uns einen wichtigen Teil unserer Geschichte – die der (weiblichen) Homosexualität – gesichert.
Sie nennt es „Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II.“ – für mich, die ich nur wegen Ludwig und Sisi am Starnberger See war und als Kind so manchen Romy Schneider Film und Bücher zum Thema verschlungen habe, ist es DIE wertvolle Sammlung überhaupt.

Mehr als ein Geschichtsbuch

Es ist hier nicht nur die Geschichte  Ludwigs und Elisabeths („Sisi“) mit Briefen dokumentiert, sondern auch seine Homosexualität, die „Gedanken“ seiner Majestät und der Menschen um ihn herum – beispielsweise die von Müller, der ursprünglich für Ludwigs Bruder Otto als Nerven- oder „Irrenarzt“ eingestellt wurde. Ludwig vertraut Müller, was seltenst vorkam und der wiederum tauscht sich per Brief mit Gudden, ebenfalls im Dienste seiner Majestät, aus.
Ich habe dadurch ein Bild von Ludwig bekommen, das so für mich noch nicht existent war bzw Ludwig ist hier endlich einmal mit allen fehlenden Puzzleteilen beschrieben, denn wer hat sich schon mal die Zeit genommen, in alten Briefen im Stadtarchiv zu blättern?
Hier ist alles portionsweise und fein säuberlich in brauner und dunkelblauer Schrift niedergeschrieben.
Müller studiert das Leben von Anastasius Rosenstengel, eigentlich Catharina Linck, die 1721 als letzte Frau in Europa wegen „Unzucht mit einer anderen Frau“ hingerichtet wurde. Sie hatte sich ein Leben als Mann aufgebaut und sogar geheiratet. Ludwig unterstützt Müllers Forschungen.
Nicht nur das: Er lässt sich im Theater Vorstellungen zeigen, ganz alleine, weil ihn die Menschen stören, heute nennt man dies wohl „hochsensibel“. Wir wissen, er hat sich im Würmsee, heute Starnberger See, umgebracht – oder ist es, wie Sisi vermutet, doch durch fremde Hand geschehen?
Alle Mysterien um den Märchenkönig, aber auch um Anastasius Rosenstengel, Bismarcks Einschätzungen zu Ludwigs Führungsqualitäten – dieses Buch ist so viel mehr als ein Geschichtsbuch und doch ein gesammeltes Werk, das jede zuhause haben sollte – zum Nachschlagen, zum Wiederreinlesen eben.

Keine leichte Kost, aber hochspannend

Ich kam zunächst etwas schwer in diese Aufzeichnungen hinein, weil zum einen die alte Sprache etwas anstrengt, zum anderen die vielen historischen Gestalten. Jedoch die Aussagen darin, wie z.B. „Selbst Richard Wagner nahm es mit der Wahrheit nicht so genau. Seine Meistersinger spielen an Johanni, und was lässt er duften? Den Flieder! Der ist um die Zeit seit einem, ach was, seit zwei Monaten in der Natur verblüht, aber in der Kunst – ist das doch ganz und gar egal!“ sind dermaßen amüsant und könnten sich in der heutigen Zeit in einer Theaterpause genau so zutragen – und damit ist es doch wieder ganz aktuell.
Ausführliche Berichte über die Zeit um und nach Ludwigs Tod und eine Bibliographie sowie das Briefverzeichnis – in den entsprechenden Textfarben  und ein umfangreiches Personenregister mit Seitenzahlen beenden das knapp 400 Seiten starke Werk.
Hochachtung, mehr kann ich nicht sagen!
Angela Steidele: Rosenstengel 
Ein Manuskript aus dem Umfeld Ludwigs II.

Matthes & Seitz Verlag

Erschienen: 2015
ISBN: 978-3-95757-136-6
Preis: 28,00 €
Querverlag

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Anzeige


Anzeige LITfest homochrom 06.–08.08.2021

visuelle

  • Fernsehinfos vom 9. bis zum 22. März 2024
  • Fernsehinfos vom 24. Februar bis zum 8. März 2024
  • Radiotipp: Die Linguistin Luise F. Pusch im Gespräch
  • Buchtipp: Daniela Schenk: Mein Herz ist wie das Meer
  • Buchtipp: Elke Weigel – „Wind der Freiheit“
  • Buchtipp: „Riss in der Zeit“ von Ahima Beerlage
  • Filmtipp zum 75. Geburtstag von Ilse Kokula
  • Ilka Bessin: Abgeschminkt – Das Leben ist schön, von einfach war nie die Rede
  • Interview und Verlosung zu 25 Jahre „Krug & Schadenberg“
  • Der Schottische Bankier von Surabaya: Ein Ava-Lee-Roman
  • CD-Review: LAING sind zurück mit neuem Album
  • Interview: „Diversity muss von der Führung kommen“
  • 5 Serien für Fans starker TV-Charaktere …
  • „Danke Gott, dass ich homo bin!“ – Filmreview von „Silvana“
  • Buchrezi: „Lesbisch. Eine Liebe mit Geschichte“
  • Rückblick auf die NorthLichter
  • DVD-Rezi: „Call My Agent“ – Staffel 2
  • Berlin: Etwas andere Pride Parade am 23. Juni 2018 …
  • Buchrezi: Carolin Hagebölling „Ein anderer Morgen“
  • Ausstellungseröffnung „Lesbisches Sehen“ im Schwulen Museum Berlin
  • „The Einstein of Sex“ – Stück über Magnus Hirschfeld
  • „Here come the aliens“ – Das neue Album von Kim Wilde
  • Album-Review: Lisa Stansfield „Deeper“
  • Theater X: Deutschlands vergessene Kolonialzeit